Er führt den Leser in die grundlegende Ambivalenz und Dichtomie von Entwurf und Unterwerfung ein, erklärt warum jedes Design sowohl befreiend wie auch begrenzend wirken kann. Angelehnt an die vom Psychologen und Motivationsforscher Abraham Maslow geschaffene Bedürfnispyramide unterscheidet er zwischen Überlebens-, Sicherheits-, Gesellschafts- und Selbstdesign und zeigt auf jeder Ebene auf, dass unsere westlichen Gegenwartsgesellschaften trotz der postulierten Freiheit immer totalitärere Formen annehmen.
Als Jurist bin ich von der Kodex-artigen Umsetzung, welche eine klare Struktur vermittelt, angetan und empfinde den mit glossenartigen Fußnoten gespickten Text wie einen professoralen Kommentar zur Verfassung. Welcher Verfassung? fragt man sich. Nein, es ist keine Charta der Menschenrechte, sondern eine Verfassung der Menschwerdung, eines Prozesses, der uns als am Kollektiv teilhabende Individuen wachse lässt. Als interessierter Sozialpsychologe reizt die Strukturierung nach Maslow und unzählige Verweise zu Entwicklungen der Gegenwartsgesellschaft. Als Vernunftsmensch und Kind der ewigen Aufklärung stehe ich voll hinter der von Borries geforderten moralischen Verpflichtung nicht nur sich selbst, sondern die Welt an sich entwerfen zu müssen. Ja, Design ist ein politisches Instrument, und Transformationsdesign, also die Veränderung by design instead of by desaster, zu betreiben, ist eine Verantwortung die jeder zu tragen hat.
In einigen Punkten kann ich jedoch Borries nicht zustimmen bzw sehe die beschriebenen Bedingungen zumindest in Wohlstandsgesellschaften anders gelagert. So ist die Bedürfnispyramide in Gesellschaften, in denen es dem Menschen an nichts Materiellem mehr fehlt, doch sicherlich umgekehrt anzubringen, d.h. es ist immer vom Selbstdesign auszugehen, welches die Basis eines jeden Transformationsdesign bilden muss, sowohl von gegen kapitalistische Strukturen Widerstand leistenden ohnmächtigen Bürger wie auch von mächtigen Entscheidungsträgern; insbesondere jedoch muss umfassendes Selbstdesign Aufgabe der Studieneingangsphase aller Designer sein, damit sie lernen in ihrem Entwerfen nicht nur zu taktieren, sondern strategisch zu denken und zu handeln.
Borries zeigt ähnlich wie Historiker Harari in Homo Deus eindeutig auf, welche Gefahren in den Möglichkeiten von biologischen und mechatronischen Optimierungen für den Menschen liegen. Richtig folgert er, dass der zunehmend optimierte Mensch zunehmend unmenschlicher wird, und der ewig lebende, seiner Sterblichkeit enthobene Mensch kein Mensch mehr ist. Gutes Design, meint er, gibt dem Selbst Freiheit, vergißt aber, dass diese Freiheit nur im Spannungsbogen zu deren sinnstiftender Einbettung im Kollektiv bzw in der Schöpfung an sich, im Sinne von sozialer und ökologischer Verantwortung gefunden werden kann. Insofern vermisse ich systemtheoretisches Verständnis, welches das Bild Ludwig Feuerbachs zum Mensch als poröses Wesen in ein picture at large einpasst und neben den vielfältigen menschlichen Organisationformen auch jene in einem osmotischen Modell versucht zu erkennen, die sich unseren räumlich und zeitlich begrenzten Sinnen entziehen. Kreativitätsforscher und Künstler könnten beispielsweise argumentieren, dass der Mensch an sich nicht entwirft, sondern nur Gefäß für Entwürfe ist und Theologen würden wohl sagen, dass nur eine Designerin existiert, die uns Menschen mit Ideen versorgt. Der Mangel am Metaphysischen ist es wohl, der moderne Designer den Pakt mit dem Unterwerfenden schliessen lässt.
It is within my power either to serve God or not to serve him. Serving him, I add to my own good and the good of the whole world. Not serving him, I forfeit my own good and deprive the world of that good, which was in my power to create. [Leo Tolstoy]