Erster Tag an der pädagogischen Hochschule Krems. Induktionsphase für Neulehrer. Quereinsteiger, egal welchen Alterns und welcher Berufs- und Lebenserfahrung werden mit oft gerade über 20jährigen Bachelorabsolventen für eine Woche in AudiMax Lehrveranstaltungen zu den Themen Projektmanagement, Konfliktprävention, Leistungsbeurteilung, Kommunikation, Recht, Personalwesen, etc. zusammengeworfen.
Der Vizerektor betont bei seiner Ansprache, dass die ersten Wochen in einem neuen Job oft darüber entscheiden, wie lange der Arbeitnehmer im Unternehmen bleibt. Nur wenige Minuten später schneidet die erschöpfte Stimme der Lehrgangsleiterin durch den Hörsaal und verkündet den Ernst des Lebens in einem Tonfall der eher für einen Lehrjungen als für angehende Lehrer passend ist. Die Junglehrer (nicht die Quereinsteiger) werden ermahnt sich besser zu organisieren und nicht wegen jeder Kleinigkeit in Panik zu geraten und durch Telefonate und SM Nachrichten Panik zu verbreiten.
Einer anderer Lehrgangsleiter verkündet, welcome to dark side, womit sich der Eindruck erhärtet, dass die Dark Side nicht bei den Schülern, sondern bei den Lehrern zu suchen ist. Der Präsenzteil der Induktionsphase ist stark mit den Themen Recht und Mobbing besetzt; auch jetzt, wenige Wochen später hallt der Eindruck nach, dass man als Lehrer viele Angriffsflächen hat, die man selbständig abdecken muss. Die wichtigsten sind Leistungsbeurteilung und Aufsichtspflicht. Eine kleine Unachtsamkeit kann in diesen beiden Bereichen der Lehrtätigkeit zu schwersten Folgen führen. Es werden unzählige Beispiele aus der Praxis angeführt und ich erinnere mich schweren Herzens des Ethologen John Calhoun, der in den 1960er Jahren die Mouse Utopia Versuche durchgeführt und dadurch den Begriff behavioral sink geprägt hat: pathologisch gestörtes Sozialverhalten verursacht durch zu wenig Rückzugsraum.
Der Vizerektor betont bei seiner Ansprache, dass die ersten Wochen in einem neuen Job oft darüber entscheiden, wie lange der Arbeitnehmer im Unternehmen bleibt. Nur wenige Minuten später schneidet die erschöpfte Stimme der Lehrgangsleiterin durch den Hörsaal und verkündet den Ernst des Lebens in einem Tonfall der eher für einen Lehrjungen als für angehende Lehrer passend ist. Die Junglehrer (nicht die Quereinsteiger) werden ermahnt sich besser zu organisieren und nicht wegen jeder Kleinigkeit in Panik zu geraten und durch Telefonate und SM Nachrichten Panik zu verbreiten.
Einer anderer Lehrgangsleiter verkündet, welcome to dark side, womit sich der Eindruck erhärtet, dass die Dark Side nicht bei den Schülern, sondern bei den Lehrern zu suchen ist. Der Präsenzteil der Induktionsphase ist stark mit den Themen Recht und Mobbing besetzt; auch jetzt, wenige Wochen später hallt der Eindruck nach, dass man als Lehrer viele Angriffsflächen hat, die man selbständig abdecken muss. Die wichtigsten sind Leistungsbeurteilung und Aufsichtspflicht. Eine kleine Unachtsamkeit kann in diesen beiden Bereichen der Lehrtätigkeit zu schwersten Folgen führen. Es werden unzählige Beispiele aus der Praxis angeführt und ich erinnere mich schweren Herzens des Ethologen John Calhoun, der in den 1960er Jahren die Mouse Utopia Versuche durchgeführt und dadurch den Begriff behavioral sink geprägt hat: pathologisch gestörtes Sozialverhalten verursacht durch zu wenig Rückzugsraum.
Am zweiten Tag entdecke ich überrascht und leicht entsetzt ein Edelstahlnetz, welches das gesamte Stiegenhaus der pädagogischen Hochschule verkleidet. Die Installation ist neu und äußerst hochwertig. Ich kann nur erahnen wie viele tausende Euro diese Infrastruktur gekostet haben muss. Mein intuitiver Eindruck: es handelt sich um eine Suizidpräventionsmaßnahme. Wahrscheinlich hat sich an dieser Bildungseinrichtung vor kurzer Zeit jemand das Leben genommen, indem er sich das Stiegenhaus hinuntergestürzt hat. Szenen der Selbstmordvorfälle bei Foxconn ziehen auf meinem geistigen Schirm vorbei.
Das Thema läßt mich während meiner Zeit an der PH Krems nicht ruhen, daher frage ich eine Mitarbeiterin, die mir einen Hörsaal öffnet. Sie teilt meine negative Wahrnehmung, erklärt mir aber, dass es keinen Selbstmord gegeben hat. Das Edelstahlnetz seit installiert worden, weil die Gebäudeaufsicht es vorgeschrieben hat. In der Tat sei es sehr teuer gewesen. Der Eindruck bleibt, dass man sich an der PH Krems in einem Hochsicherheitstrakt befindet, in dem der Absturz in einem Stiegenhaus in der Gegenwart verhindert werden muss, obwohl es seit der Errichtung des Gebäudes in den 1960er Jahren dafür keinen Anlassfall gegeben hat.
Das Thema pathologisch abnormales Verhalten ist dennoch nicht aus dieser Woche wegzudenken. Das gesicherte Stiegenhaus wird zu einem Bild für den wesentlichen Eindruck, den ich von dieser akademischen Einführung in die Profession des Lehrers erhalte: es handelt sich um ein System, in dem viele Einzelne zweifelsfrei Gutes vollbringen wollen, welches aber Dynamiken erzeugt, die systemimmanent sind und nicht überwunden werden können. Das System definiert seine Akteure. Viktor Frankls Schilderungen vom nationalsozialistischen Konzentrationslager, das Stanford prison experiment und das Prisoner’s Dilemma erscheinen am Radar.
Das Thema läßt mich während meiner Zeit an der PH Krems nicht ruhen, daher frage ich eine Mitarbeiterin, die mir einen Hörsaal öffnet. Sie teilt meine negative Wahrnehmung, erklärt mir aber, dass es keinen Selbstmord gegeben hat. Das Edelstahlnetz seit installiert worden, weil die Gebäudeaufsicht es vorgeschrieben hat. In der Tat sei es sehr teuer gewesen. Der Eindruck bleibt, dass man sich an der PH Krems in einem Hochsicherheitstrakt befindet, in dem der Absturz in einem Stiegenhaus in der Gegenwart verhindert werden muss, obwohl es seit der Errichtung des Gebäudes in den 1960er Jahren dafür keinen Anlassfall gegeben hat.
Das Thema pathologisch abnormales Verhalten ist dennoch nicht aus dieser Woche wegzudenken. Das gesicherte Stiegenhaus wird zu einem Bild für den wesentlichen Eindruck, den ich von dieser akademischen Einführung in die Profession des Lehrers erhalte: es handelt sich um ein System, in dem viele Einzelne zweifelsfrei Gutes vollbringen wollen, welches aber Dynamiken erzeugt, die systemimmanent sind und nicht überwunden werden können. Das System definiert seine Akteure. Viktor Frankls Schilderungen vom nationalsozialistischen Konzentrationslager, das Stanford prison experiment und das Prisoner’s Dilemma erscheinen am Radar.
Aus systemischer Perspektive ist es unzweifelhaft, dass die pathologischen Entgleisungen des sozialen Verhaltens auf der Seite von Schülern und Lehrern zumeist nicht in der Person selbst, sondern in der Beschaffenheit des Raumes zu suchen sind. Es sollte für einen systemfremden Beobachter, aber auch für einen noch nicht betriebsblinden Lehrer unübersehbar sein, dass viele der Probleme der formellen Bildung durch eine Veränderung der Raumdimension zu lösen sind. Eine Öffnung der Schulgebäude und zumindest 1-2 volle Tage außerhalb dieser geschlossenen Anstalten würde bereits erhebliche Verbesserungen schaffen.
Stattdessen übt man angehende Lehrer in der Prävention, dem Unterbinden und der Aufarbeitung von Mobbingfällen, und man spürt sofort, dass man unsicheres Terrain betritt, Glatteis auf dem man vor Schülern, deren Eltern, den Kollegen, dem Schulleiter und der zuständigen Bildungsbehörde krachend ausrutschen kann. Von einer Kollegen wird mir noch in der ersten Woche der Abschluß einer Rechtsschutzversicherung nahegelegt. Ein männlicher Kollege rät mir niemals als Mann erste Hilfe zu leisten, und sogar das Anlegen von Pflaster einer weiblichen Kollegin zu überlassen. Man kommt zu einfach in den Verdacht pädophil veranlagt zu sein, erklärt er seinen Ratschlag. In diversen Gesprächen drängt sich mir die Frage auf, ob man als Lehrer nicht dazu gedrängt wird, erste Hilfe zu unterlassen. Ein krasser Widerspruch zu meinem Engagement als Umweltpädagoge und Ersthelfer, der sich alle zwei Jahre neu qualifizieren lässt.
Ein ganzer Tag ist der Personalvertretung gewidmet, die sich aus Funktionären der Lehrergewerkschaft zusammensetzt. Ehemalige Lehrer, die seit 10 und mehr Jahren hauptberuflich die Interessen dieser Berufsgruppe vertreten, briefen uns über Themen wie Lohnansprüche, Titel und Dienstweisungen. Ich träume über das Ministry of Tofu, wache aber auf und erkenne, dass das Ministry of Magic unglaublich aufgebläht ist und mir dämmert, warum das österreichische Bildungssystem eines der teuersten der Welt ist, aber nur mediokre Resultate zeitigt.
Mein Arbeitgeber, die Bildungsdirektion Niederösterreich, läßt mich wissen, dass ich erst im Oktober, 6 Wochen nach Dienstantritt, meine Dienstemail erhalten werde. Meine neuen Kollegen, meinen: wenn es gut geht. Der MOOC, den ich vor meiner Woche an der PH Krems absolvieren muss, ist mit den Vorlesungen stark überlappend. Die Teilnahme wird für Quereinsteiger bei beidem erzwungen und ist nicht auf das Vorwissen der Teilnehmer abgestimmt. Schon in den ersten Wochen stellt sich durch das Abzeichnen der Anwesenheit, Dienst nach Vorschrift ein. Es geht mehr um Zertifikate und Titel, weniger um die Sache an sich.
Stattdessen übt man angehende Lehrer in der Prävention, dem Unterbinden und der Aufarbeitung von Mobbingfällen, und man spürt sofort, dass man unsicheres Terrain betritt, Glatteis auf dem man vor Schülern, deren Eltern, den Kollegen, dem Schulleiter und der zuständigen Bildungsbehörde krachend ausrutschen kann. Von einer Kollegen wird mir noch in der ersten Woche der Abschluß einer Rechtsschutzversicherung nahegelegt. Ein männlicher Kollege rät mir niemals als Mann erste Hilfe zu leisten, und sogar das Anlegen von Pflaster einer weiblichen Kollegin zu überlassen. Man kommt zu einfach in den Verdacht pädophil veranlagt zu sein, erklärt er seinen Ratschlag. In diversen Gesprächen drängt sich mir die Frage auf, ob man als Lehrer nicht dazu gedrängt wird, erste Hilfe zu unterlassen. Ein krasser Widerspruch zu meinem Engagement als Umweltpädagoge und Ersthelfer, der sich alle zwei Jahre neu qualifizieren lässt.
Ein ganzer Tag ist der Personalvertretung gewidmet, die sich aus Funktionären der Lehrergewerkschaft zusammensetzt. Ehemalige Lehrer, die seit 10 und mehr Jahren hauptberuflich die Interessen dieser Berufsgruppe vertreten, briefen uns über Themen wie Lohnansprüche, Titel und Dienstweisungen. Ich träume über das Ministry of Tofu, wache aber auf und erkenne, dass das Ministry of Magic unglaublich aufgebläht ist und mir dämmert, warum das österreichische Bildungssystem eines der teuersten der Welt ist, aber nur mediokre Resultate zeitigt.
Mein Arbeitgeber, die Bildungsdirektion Niederösterreich, läßt mich wissen, dass ich erst im Oktober, 6 Wochen nach Dienstantritt, meine Dienstemail erhalten werde. Meine neuen Kollegen, meinen: wenn es gut geht. Der MOOC, den ich vor meiner Woche an der PH Krems absolvieren muss, ist mit den Vorlesungen stark überlappend. Die Teilnahme wird für Quereinsteiger bei beidem erzwungen und ist nicht auf das Vorwissen der Teilnehmer abgestimmt. Schon in den ersten Wochen stellt sich durch das Abzeichnen der Anwesenheit, Dienst nach Vorschrift ein. Es geht mehr um Zertifikate und Titel, weniger um die Sache an sich.
- John Calhoun’s Mouse Utopia Experiment
- John Calhoun’s Mouse Utopia Experiment and Reflections on the Welfare State
- Stanford prison experiment
- Viktor Frankl, Man’s Search for Meaning
- Knut Wimberger, On the Education Crisis and the Prisoner’s Dilemma