• Home
  • Blog EN
  • Blog DE
  • 4M
  • Homegrown
  • About
  • Home
  • Blog EN
  • Blog DE
  • 4M
  • Homegrown
  • About
The Future of Work & Education

ein BLOG zuR ZUKUNFT VON BILDUNG UND ARBEIT

Werte – Ein Kompass für die Zukunft

10/16/2025

0 Comments

 
Picture

Buch: https://www.brandstaetterverlag.com/buch/werte/
Ausgewähltes Interview zum Buch: https://www.youtube.com/live/CzEBLYOeXXQ?si=TBWS_Z1R1XeEQUIv 
Autorin: https://de.wikipedia.org/wiki/Maja_G%C3%B6pel#

Im Ende 2024 erschienenen Buch versucht die Politikwissenschafterin und Transformations-forscherin Maja Göpel einer grundlegenden Frage auf den Grund zu gehen: Was sind die Rahmenbedingungen, die unser Handeln steuern / ermöglichen?

Sie widmet sich in der Antwort den Werten Sicherheit, Freiheit und Wohlstand, und diskutiert diese Werte innerhalb der Demokratie, die sie mit den Begriffen Transparenz und Chancen-gleichheit auflädt. In fünf kurzen Kapiteln versucht sie zu zeigen, dass es möglich ist, ins gemeinsame Handeln zu finden und greift zentral das Problem der gesellschaftlichen Spaltung – insbesondere in der politischen Arena - auf, das notwendige Maßnahmen in einer Situation der multiplen Krisen blockiert.

In gewisser Weise spiegelt sie damit zeitversetzt die Erörterungen ihres fachlichen Kollegen Francis Fukuyama wider, der bereits vor 25 Jahren für die USA in seinem Buch The Great Disruption ein Bild der Spaltung und des Niedergangs schilderte, dessen Grund er im Korrodieren von sozialem Kapital und damit in letzter Instanz gegenseitigem Vertrauen fand.

Der Historiker Niall Ferguson stellte eine ähnliche Forschungsfrage in seinem Buch Civilization: The West and the Rest. Warum konnte das zurückgebliebene Europa in der Neuzeit beinahe die ganze Welt unterwerfen und zu einer führenden Zivilisation werden? Seine Antwort sind 6 Killer Apps, die an der Schnittstelle zwischen Werten, Institutionen und Infrastuktur liegen.

Auch der amerikanische Journalist Ezra Klein widmete sich 2020 der gesellschaftlichen Spaltung in Why we are polarized, kommt aber ähnlich wie Ferguson zum Schluss, dass nicht nur gemeinsame Werte, sondern vor allem Institutionen, die unterschiedliche Werte produktiv verbinden, die Grundlage eines funktionierenden Staates sind.
Picture
Aber was sind denn eigentlich Werte? Für die einen sind Werte erstrebenswerte, moralisch oder ethisch als gut befundene spezifische Wesensmerkmale von Personen innerhalb einer Wertegemeinschaft. Aus bevorzugten Werten und Normen entstehen Denkmuster, Glaubenssätze und Handlungsmuster sowie eine dementsprechende Geisteshaltung. Für die anderen sind gesellschaftliche Werte das Werbeplakat der politischen Macht.

Das Strukturmodell menschlicher Werte (vgl. Schwartz, 1992) erschöpft sich allerdings nicht darin, die Vielzahl menschlicher Werte zehn einander ergänzenden Wertetypen zuzuordnen; vielmehr können diese von ihm auch als Grundwerte bezeichneten Wertetypen auf einer allgemeineren Ebene zu vier Werten höherer Ordnung zusammengefasst werden.

Sie bilden dann eine zweidimensionale Wertestruktur, in der sich Selbsttranszendenz (Universalismus und Benevolenz) und Selbsterhöhung (Macht und Leistung) gegenüberliegen und ebenso Wahrung des Bestehenden (Konformität, Tradition und Sicherheit) und Offenheit für Neues (Stimulation und Selbstbestimmung). Hedonismus ist in dieser Struktur ein Grenzfall, der nach Schwartz sowohl Gemeinsamkeiten mit Selbsterhöhung als auch mit Offenheit aufweist.
Picture
Fest steht, dass Werte ähnlich wie Religion eine verbindende Wirkung haben, und innerhalb einer Gesellschaft ein gemeinsamer oft unausgesprochener Nenner sind. Werteverlust wurde erstmals vom Soziologen Emile Durkheim Ende des 19 JH als Anomie beschrieben. Der Rückgang von religiösen Normen und Werten führt nach Durkheim unweigerlich zu Störungen und zur Verringerung sozialer Ordnung. Aufgrund von Gesetz- und Regellosigkeit sei dann die gesellschaftliche Integration nicht länger gewährleistet. Dieser Zustand tritt oft in Phasen schnellen gesellschaftlichen Wandels wie der Industrialisierung auf, was zu sozialer Desintegration, Verwirrung und einem erhöhten Aufkommen von sozialen Problemen wie Kriminalität und Suizid führen kann.
Picture

Anmerkungen zu den fünf Kapiteln

1. Die Mehrheit möchte kooperieren – sie vermutet nur nicht, dass es die anderen auch wollen. Doch Zusammenarbeit ist der Schlüssel, um Krisen zu bewältigen.
Anmerkung: wer mit wem? Ist diese Frage national oder global zu verstehen? Gerade in einer Zeit, wo wir zunehmend erkennen, dass wir in einem planetaren Ökosystem wirtschaften, können sich Werte nicht nur auf Landesgrenzen erstrecken. Das kann bestenfalls ein Anfang sein.

In der Frage zur Verteilung von Wohlstand und der Einführung Grundeinkommen läßt Göpel erkennen, dass es Maßnahmen und Infrastruktur bedarf, um den Beitrag der Bürger nicht nur zu erwarten, sondern auch einfordern zu können: „Ich habe das Gefühl, dass wir uns auf der linken Seite etwas vormachen. Dass dann alle zufällig etwas für die Republik tun würden, wenn sie den Freiraum hätten, weil sie sich um keine finanzielle Versorgung kümmern müssen, das halte ich für eine steile These.“
 
Um Kooperation zu beschreiben, arbeitet sie mit den Begriffen checkin – checkout. Checkin für Beteiligung und Solidarität, checkout für Apathie und Rücksichtslosigkeit. Göpel ist der der Meinung, dass wir jetzt den checkin brauchen – jeder muss bereit sein, etwas beizutragen, damit der Laden hier wieder läuft.  Damit gibt sie wieder, was der Philosoph David Richard Precht in seinem Buch Von der Pflicht anlässlich der Covid-19 Pandemie verlangt hat.

2. Wohlstand erneuern geht – wenn wir die richtigen Maßstäbe anlegen. Wir brauchen ein neues Verständnis davon, was wirklich zählt, statt uns an alten Zielwerten festzuklammern.
Anmerkung: vgl im Hinblick auf neue Zielwerte das interessante Konzept von Sobriete (Besonnenheit auf Deutsch) von Jean-Marc Jancovici, welches sich aus der Knappheit natürlicher Ressourcen für Europa notwendigerweise ergibt und welches er den Begriffen Armut und Überfluß gegenüberstellt. Sobriete kann als ein frei gewählter Minimalismus verstanden werden, der an buddhistische Mäßigung erinnert.

3. Politik kann wirksam sein – wenn wir Bürokratie innovativ umbauen. Statt den Staat abzubauen, müssen wir ihn so gestalten, dass er mutige Veränderungen möglich macht.
Anmerkung: ein Umbau inkludiert den Abbau wo der Staat zum Hindernis geworden ist. Die drei Säulen geteilte Macht, geteilter Wohlstand und geteilte Verantwortung müssen in eine neue Verfassung gegossen und innerhalb des Staates lean management durch den massiven Einsatz von Digitalisierung praktiziert werden. 

4. Wettbewerbsfähig wird, wer klug bilanziert. Wir brauchen neue Messgrößen, die Natur, Soziales und Menschlichkeit berücksichtigen – und nicht nur Wachstum um jeden Preis.
Anmerkung: klingt nach triple health – siehe Infografik unten. Distributed Value Accounting (DVA) kann hierzu als pragmatische Lösung sowie als neue digitalisierte Institution dienen, um zukunftsfähiges Verhalten zu belohnen zB mit einem bedingten Grundeinkommen und gemeinsame Werte zu schaffen.

Picture

5. Anstand ist unser Anker im Sturm. Gerade in unsicheren Zeiten gibt er Orientierung und verbindet uns, wenn wir gemeinsam handeln.
Anmerkung: diese Aussage ist zwar grundsätzlich richtig und erinnert an Viktor Frankls psychoanalytischer Schule zur Essenz der Menschlichkeit. Die Realität hat uns aber gezeigt, dass dieser Anstand nicht erwartet, sondern nur unter bestimmten Rahmenbedingungen gefördert werden kann. In Zeiten von Anomie gilt vielmehr, was Isaac Asimov einmal treffend in seiner bathroom metaphor beschrieb: wenn eine Horde von Menschen auf eine Toilette stürmt, dann ist es mit dem Anstand schnell zu Ende und es bedarf klarer Regeln, einem Zeitplan, einem gesellschaftlichem Design, das wie Friedrich von Boerries in Weltentwerfen schreibt – unterwirft.
Picture

Buchentstehung

Es ist interessant, dass dieses Buch beim Wiener Verlag Brandstätter erschienen ist und der ehemalige Finanzminister Hannes Androsch als Herausgeber ausgewiesen wird. Androsch verstarb Ende 2024, womit die Veröffentlichung dieses Buches der letzte Akt im umtriebigen Leben des SPÖ Funktionärs und Unternehmers gewesen ist. Was er zu dessen Entstehung beigetragen hat, ist unklar.

Zu Göpels Biographie ist anzumerken, dass sie in sehr privilegierten Verhältnissen aufgewachsen ist. Als einziges Kind einer Medizinerin und eines Gesundheits-wissenschafters verbrachte sie ihre Kindheit in einer ökologischen Hausgemeinschaft in der Nähe von Bielefeld. Man darf mutmaßen, dass das Versagen des Gesundheitssystem iSv Spezialintervention im Falle von Krankheit eines Individuums ein tägliches Thema am Abendtisch gewesen sein muss, und sich Göpel wohl aufgrund dieser Prägung einen soziologischen Zugang zum Thema Gesundheit angeeignet hat: wie muß eine Gesellschaft aufgestellt sein, damit Krankheit erst gar nicht entsteht?

Göpel promovierte in politischer Ideengeschichte, womit sie beim Schreiben eines Buches ähnlich wie Jared Diamond oder Yuval Harari eine „longitudinal perspective“ einnimmt. Anstatt Begriffe als statisch einzuordnen, hinterfragt sie deren Entstehung und Veränderung. So gibt sie sich irritiert, wenn Begriffe wie soziale Marktwirtschaft verwendet werden, und sich alle in diesem Begriff verorten, aber nicht für sich geklärt haben, was damit gemeint ist.

Die Schöpfer der sozialen Marktwirtschaft würden heute laut Göpel alle sagen: „Habt ihr noch alle Latten am Zaun, dass ihr die Techkonzerne so gerieren lässt und sie dann noch als Unternehmen bezeichnet, die angeblich in einem Markt stehen.“ Techkonzerne haben ihr zu folge Monopolstrukturen entworfen und führen eine Planwirtschaft in Konzernhänden. 
Picture

Design als Lösungsinstrument und China als Vorbild

Als Lösung der Handlungsblockade diskutiert Göpel Design als die Anordnung von Elementen um ein Ziel zu erreichen. Anstatt sich in ideologischen Lagern zu verschanzen, muss es innerhalb einer Gesellschaft möglich sein, pragmatisch an jenen Zielen zu arbeiten, die für alle ein gutes Ergebnis bewirken. Es ist erkenntnistheoretisch überaus bemerkenswert, dass sie als Politikwissenschafterin erstmals mit Design als Werkzeug gearbeitet hat, weil es pragmatisch nach dem Ergebnis fragt, und unideologisch unterschiedliche Elemente anordnet, um definierte Ziele zu erreichen.

Das Buch erinnert stark an die Schriften des holländischen Historikers Rutger Bregman, der mit Utopia for Realists und Humankind: A hopeful history ähnliche Überlegungen anstellt wie Göpel. Es unterscheidet sich jedoch von Bregman, indem Göpel implizit als Politikwissenschafterin Elemente des chinesischen politischen Systems für „westliche Demokratien“ fordert:

- Lagerübergreifendes Handeln ist die Essenz des chinesischen Einparteinstaates
- Effektive Bürokratie wird in China durch starke Digitalisierung zB über alipay und wechat ermöglicht
- Langfristige Ziele werden durch die Kontinuität der Regierung und wiederkehrende Fünfjahrespläne erfolgreich verfolgt
- politischer Pragmatismus: die in den USA Ende des 19 JH ersonnene Philosophie wird unter einigen Sinologen als Fundament des wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas gesehen.
Picture

Kritik UND anregungen

Mein zentraler Kritikpunkt an diesem Buch ist der Mangel an technologischem Einblick und Verständis sowie der Fokus auf Werte, aber das komplette Fehlen von sinnvoller Infrastruktur und Institutionen (siehe Niall Ferguson und Ezra Klein weiter oben), um diese Werte zu implementieren. Göpel versucht durch ein gutes ideentheoretisches Konstrukt eine pragmatische Lösung in der politischen Arena herbeizudenken, und bleibt damit auf der westlichen Schiene des Rechtsstaates, die im Gegensatz zum fernostasiatischen Ingenieursstaates steht.

Der überbordende Rechtsstaat hat den homo faber im Westen - vielleicht in der Angst er könnte zum verrückten Erfinder Rotwang wie in Fritz Langs Metropolis werden – wohl aber eher weil die an der Macht sitzenden Eliten keine Veränderung des Status Quo wollen - erstickt. Der Ingenieursstaat hingegen bleibt im Handeln und ordnet Bürokratie und Prozesse einem Gesamtziel unter. So bleibt er agil und erspart sich lähmende Begutachtungen und demokratische grassroot Querelen. Er ist im Idealfall von einer Vision (wie dem China Dream) getragen, die der Gesellschaft Fortschritt nicht nur verspricht, sondern auch liefert.

As the saying goes: culture eats strategy for breaktfast. Die 16 sozialistischen Kernwerte, die die KPC seit Xi Jinpings Machtübernahme predigt, sind analog zu Göpels Werten der moralische Unterbau, der dieses gesellschaftspolitische System trägt. Dazu im Detail bei Dan Wangs neuem Buch Breakneck und Ian Johnsons The Souls of China.
Picture
Chinas 16 sozialistische Kernwerte
Göpel kritisiert Menschen, die sich automatisch innerhalb von Begriffen wie sozialer Marktwirtschaft verorten, aber nicht hinterfragen, was damit wirklich gemeint ist. Letztlich stellt sie sich gegen eine Lagerbildung und versucht zu ergründen, was notwendig ist, um lagerübergreifend zu agieren. Durch die unreflektierte Verortung im Begriff Demokratie macht sie aber denselben Fehler, weil sie zwei Lager bildet, nämlich den „demokratischen Westen“ und den „totalitäten Osten“ – wir müssen lernen, von beiden gesellschaftlichen Systemen das aufzugreifen, was die Menschheit insgesamt voranbringt. Denn weder eine schlappe Demokratie (was auch immer in diesem Begriff drinsteckt) noch eine die Weltherrschaft an sich reißende Diktatur chinesischer Prägung kann der Weisheit letzter Schluss sein. 

Der renommierte Sinologe Oskar Weggel schrieb im Jahr 1997 über eine Zukunft mit 12 Milliarden Menschen, eng gewordenen Räumen und knappen Rohstoffen: in einer solchen Umgebung muß die Verherrlichung des Individuums, wie sie sich in der neuzeitlichen Philosophie – und in den westlichen Industriestaaten – durchgesetzt hat, durchaus als „Luxusschöpfung“ erscheinen, die weder der Menschheitsgeschichte insgesamt noch den Perspektiven eines „posteuropäischen“ Zeitalters angemessen ist.

Der klassische Konfuzianismus war ein Kind der Not – und erteilte als solches Antworten auf die Frage, wie Verteilungskämpfe unblutig gelöst und wie Formen dichten Zusammenrückens möglichst konfliktfrei gestaltet werden können. Im Zeichen abnehmender Optionen und zunehmender Beengung könnte er sich erneut als Zuflucht und Ratgeber erweisen! Globalisierung würde sich dann andersrum, nämlich von Ost nach West entfalten!

Im Sinne von Weggel muss in einer Zeit der begrenzten Ressourcen und der wachsenden Bevölkerung notwendiges Verhalten eingefordert werden – von allen Mitgliedern der Gesellschaft. Dieses Einfordern bedarf eines transparenten und fairen Systems, welches in der Form von distributed value accounting (DVA) möglich ist. Dabei geht es nicht um die in Europa so gefürchtete Überwachung der Privatsphäre, sondern um das Sichtbarmachen von Solidarität – also dem von Göpel geforderten checkin, der unbezahlter Vereinsarbeit, das buchhalterische Erfassen von Pflege- und Elternzeiten, das Erlernen von Nachhaltigkeitskompetenzen, also all jene Dienste an der Gesellschaft, die soziales und ökologisches Kapital schaffen bzw erhalten, aber am kapitalistischen Markt nicht bewertet werden.

Ein derartiges System macht jedes Mitglied einer Gesellschaft zu einem kleinen Motor, um die Gesellschaft als Ganzes in eine neue Richtung zu steuern. Es schafft Fairness, ermöglicht Chancengleichheit, und holt die von Göpel erwähnten 70% der Gesellschaft ab, die „das Richtige machen würden, wenn sie nicht Angst hätten, dass es die anderen nicht tun.“ Ähnlich wie airbnb schafft DVA mit Hilfe einer digitalen Prothese Vertrauen zwischen Menschen, wo zuvor kein Vertrauen war, und ermöglicht unerwünschtes Verhalten aufzuzeigen ohne die negativen Folgen von Verrat und Vertrauensbruch, mit denen totalitäre Gesellschaften gekennzeichnet waren.

Soziale Innovation bedarf nicht nur der richtigen Werte. Diese können bestenfalls die Grundlage für eine ausformulierte Vision sein. Um eine Vision wirksam werden zu lassen, ist es notwendig über neue Organisationsformen, notwendige Technologien, die gelungenes Design nachzudenken. Den richtigen Zeitpunkt haben wir schon verpasst. Aber wie Viktor Hugo einst sagte: Keine Armee kann einer Idee Einhalt gebieten, deren Zeit gekommen ist.   
Picture
In Anbetracht der von Kai Strittmatter in Die Neuerfindung der Diktatur beschriebenen Systemrivalität zwischen China und dem Westen sind wir angehalten über ein besseres System nicht nur nachzudenken, sondern innovativ und mutig mit der Entwicklung dieses neuen Systems zu experimentieren. Die Konvergenz der politischen Systeme USA und China, die seit dem erneuten Amtsantritt Donald Trumps festzustellen ist, macht diese Aufgabe eine spezifisch europäische.

Wenn Europa eine Person wäre, dann müsste ich doch jetzt losstürmen und für sie kämpfen. Für meine Heldin, die mir 70 Jahre Frieden verschafft hat. — Klaus Maria Brandauer

Wir müssen in Europa den Mut haben, nicht nur über Werte nachzudenken, sondern Mechanismen auszuprobieren, die die Umsetzung dieser Werte ermöglichen. Wenn Anomie, also Wertverlust und der Zerfall der Gesellschaft als negatives Szenario warnt, dann muss mit pragmatischen Lösungen entgegengesteuert werden. Gerade die relative administrative Eigenständigkeit von Ländern und Kommunen, die sich in den Folgestaaten des Römischen Reiches dt. Nation erhalten hat, macht es einfacher als in zentralistisch geformten Staaten mit DVA auf unterschiedlichen Ebenen der Verwaltung zu experimentieren und den checkin digital einzufordern.

Picture
Weiterlesen:
  • Was sind Werte? https://www.values-academy.de/was-sind-werte/ 
  • Strukturmodell menschlicher Werte nach Schwartz: https://www.researchgate.net/publication/317266853_Psychologische_Arbeiten_zur_Struktur_menschlicher_Werte
  • Anomie nach Durkheim: https://soztheo.de/kriminalitaetstheorien/anomie-druck-theorien/anomiebegriff-durkheim/
  • Zu Nial Fergusons Konzept von Killer Apps: https://www.mingong.org/blog-en/the-anatomy-of-democratic-destructiveness
  • David Richard Precht, Von der Pflicht: https://www.goodreads.com/book/show/57557177-von-der-pflicht
  • Sobriete nach Jean Marc Jancovici: https://www.youtube.com/watch?v=59WB0im3lLg
  • Wechat and good governance 2.0: http://www.mycountryandmypeople.org/01-blog-2133823458/-wechat-governance-20-good-wechat-governance
  • A lucid manual for transformation: https://www.mingong.org/blog-en/a-lucid-manual-for-transformation-by-architect-friedrich-von-borries
  • Architekt Friedrich von Boerris erklärt die permanente Transformation: https://www.mingong.org/blog-en/book-review-design-theorist-friedrich-von-borries-on-how-to-project-the-world
  • The Great Disruption: Human Nature and the Reconstitution of Social Order by Francis Fukuyama: https://www.darkmatteressay.org/the-great-disruption-by-francis-fukuyama.html
  • On Spheres of Justice and Agile Democracies: https://www.mingong.org/blog-en/on-failing-democracies-and-spheres-of-justice
  • Isaac Asimov on overpopulation, technology and the decline of democracy: https://www.mingong.org/blog-en/overpopulation-technology-and-the-decline-of-democracy
  • Metropolis (1927) and its current relevance: https://www.mingong.org/blog-en/film-review-metropolis-1927-and-its-current-relevance
  • Breakneck: China’s quest to engineer the future: https://danwang.co/breakneck/
  • Ian Johnson: The Souls of China: http://www.mycountryandmypeople.org/20-20215205402345920256-value-propaganda.html
  • Oskar Weggel, China im Aufbruch: Konfuzianismus und politische Zukunft: https://www.greensteps.me/library/wie-man-aus-kindern-piraten-macht.php
  • Kai Strittmatter, Die Neuerfindung der Diktatur: Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert: https://www.goodreads.com/book/show/45884677
  • Distributed Ledger Technologies, Value Accounting, and the Self Sovereign Identity: https://www.frontiersin.org/journals/blockchain/articles/10.3389/fbloc.2020.00029/full
  • https://www.researchgate.net/publication/355395623_White_Paper_-_version_03
Picture
0 Comments

UtopiA 2048

8/27/2025

0 Comments

 
Picture
Interessant an der Biografie des erst 1990 geborenen Lino Zeddies ist, dass er derzeit an einem Umzug von Berlin nach Brandenburg arbeitet (wie so viele der Stadt überdrüssige Berliner), also mit dem Stadtleben, das sein Leben bisher bestimmt hat, bricht.

Damit reiht er sich in die Gruppe von jüngeren Erwachsenen ein, die ihr Glück am Land suchen, nachdem sie vor allem Gemeinschaft und Naturnähe in der Stadt nicht finden konnten. In Brandenburg hat sich für derartige Suchende bereits eine eigene Dachorganisation formiert: https://wissen.zukunftsorte.land/

Andy Couturier beschreibt die Suche nach Gemeinschaft und Entschleunigung anschaulich für Japan: https://www.mingong.org/blog-en/the-evolution-and-future-of-work6024456  

Zentrales Thema von Zeddies sowie einigen Teilnehmern ist die Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung: Wie können wir wieder an einem Strang ziehen?
Zeddies sieht für die Transformation zentrale Hebel:
  1. Grundeinkommen (2016 in der Schweiz abgelehnt worden, aber es herrscht breiter Konsens, dass eine Form von Grundeinkommen, der Schlüssel für die Lösung vieler Probleme ist): https://www.mingong.org/blog-de/heimat-klimawandel-grundeinkommen-was-hat-das-miteinander-zu-tun
  2. Vergemeinschaftung von Eigentum (interessanterweise in China 1949 erfolgt)
  3. Überideologische Regierung – Parteien, die an einem Strang ziehen (ebenso in China durch den Einparteienstaat gelebt)

Das Buch ist in Romanform verfasst und bringt Themen der Transformation in Dialogform dem Leser näher. Erinnert an einige Werke von Mark Twain. Wichtige 2048 erreichte Veränderungen sind:
  1. Green cities: die Trennung von Stadt/Land ist aufgehoben (funktioniert mE aufgrund der räumlichen Bedingungen durch die städtische Baustruktur nicht, und Zeddies, der noch nie am Land gelebt hat, versteht das nicht): https://www.greensteps.me/library/staedte-und-ihr-evolutionaerer-zweck-als-lernraum.php
  2. Demokratische Entscheidungsprozesse haben sich verändert (der Fokus auf Soziokratie ist mE stark zu überdenken, da die Soziokratie drei große Schwächen hat: 1. Lähmung durch Erzwungenes konsentieren 2. Informationsmangel so wie in der Abstimmung des nächsten Buches gezeigt 3. Manipulation und Beinflussung von KOL in live-settings, wo die Entscheidenden jener Person folgen, der sie vertrauen, anstatt sich wirklich selbst eine Meinung zu bilden. Die Handlungsfähigkeit, die in Reinventing Organizations im Teal Modell beschrieben wird erscheint mir gepaart mit viel digitaler Demokratie weitaus sinnvoller – warum muss man sich für jede Entscheidung persönlich treffen? https://www.mingong.org/blog-en/on-failing-democracies-and-spheres-of-justice
  3. Mobilität: Rad statt Auto (wie funktionert das für Familien, die nicht in der 15min Stadt wohnen? Mir fehlt hier der Blick auf die technologische Realität. Robotaxis und Flugtaxis sind in China bereits zugelassen)
  4. Weniger Konsum / mehr Gemeinschaft (dazu sind die architektonischen Strukturen notwendig, die Gemeinschaftsprojekte schaffen, diese wiederum sind nur am Land umsetzbar): https://www.greensteps.me/library/staedte-und-ihr-evolutionaerer-zweck-als-lernraum.php
  5. Permakultur / Agroforestry: viel Ertrag auf weniger Flächen (nicht weil es weniger fruchtbare Flächen gibt, sondern weil wir große Teile der Natur zurückgeben)
  6. Freischulen: Lernen mit Neugier und ohne Zwang (ein weiterer Punkt, der zumindest mich sehr interessiert und der Nachschärfung bedarf).
  7. UN Tower in Singapur (wo derzeit die Reichsten der Reichen leben, was nicht für die Realitätsnähe dieser Vision spricht – Bhutan oder ein befreites Lhasa wären bessere Orte für einen derartigen UN Sitz).
  8. Malmö ist die Universität der Zukunft, wo Technik mit Empathie gelehrt wird (Technologie-Ethik ist in der Tat ein zentrales Thema): https://ark.greensteps.me/library/4m-the-impact-of-technology-on-society  
  9. Das Gemeinwohlprodukt ersetzt das BIP (macht nur bei globaler Kalkulation Sinn).

Umdenken in der Politik sieht Zeddies nur möglich nach dem Eintreten von Katastrophen.

Als Folgethema habt sich mE klar eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Grundeinkommen ergeben, das die Spaltung der Gesellschaft überwinden kann, wenn es gut strukturiert ist – ebenso die Auseinandersetzung mit der Zukunft der Bildung. Dazu würde ich gerne einen speziellen Themenabend planen, wobei Martin Fords The Rise of the Robots zu beiden Themen sehr tiefgreifende Informationen bietet: https://www.mingong.org/blog-en/martin-ford-enlightened-marxist-or-apolyptic-technocrat

0 Comments

Quo vadis europa? - Ein Entwurf

5/2/2025

0 Comments

 
Picture
The Rape of Europa by Félix Vallotton (1908)
“Die Herausforderungen für den Westen und für die liberale Demokratie sind mannigfaltig: Da sind auf der einen Seite die zerstörerische Kraft des Donald Trump und das apokalyptische Geraune der Rechtspopulisten aus unserer eigenen Mitte - und auf der anderen Seite Russland und China. Die Herausforderung durch China ist nur ein Puzzleteil in einem perfekten Sturm, der sich da zusammenzubrauen scheint. Sie ist allerdings die bisher am meisten unterschätzte.” - Kai Strittmatter in Die Neuerfindung der Diktatur: Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert. 

Quo vadis europa?

Welche Ressourcen hat Europa, um eine regenerative, integrative und attraktive System- Alternative zum obsoleten Kapitalismus des Westens und zum aufstrebenden Staatskapitalismus Chinas zu bieten?

Persönlicher Hintergrund zur Frage

Katja Hellkötter betreibt gemeinsam mit Jan Siefke seit 2015 den C-Space, einen Kreativraum und Ort der Begegnung und des Lernens, der in Berlin neue Formen von Lernen, Arbeiten und Leben entwirft. C*SPACE agiert lokal im Bezirk Pankow, europäisch als Mitglied des “European Creative Hubs Net”, und ist gleichzeitig global in Richtung Asien vernetzt.

Der Osterbesuch von Katja und Familie hat viele Themen aufgeworfen, die uns in Deutschland, Österreich und Europa insgesamt bewegen (sollten). Die gemeinsame Vergangenheit in China war in den Gesprächen wie auch schon in der Vergangenheit ein wichtiger gemeinsamer Nenner, der eine alternative Perspektive auf die Geschehnisse in Europa ermöglicht.

Zentrales Thema war die politische und wirtschaftliche Ignoranz gegenüber sozialer Innovation, die wir in unserem Handeln wiederholt wahrnehmen. Politische Akteure werden oft zu Konkurrenten, weil sie zivilgesellschaftliche Initiativen unterminieren oder kopieren und eine Veränderung von Machtgefügen blockieren. Ist politische Innovation derzeit dringlicher als technologische? Die mangelnde Einrechnung von sozialem und ökologischem Kapital in wirtschaftliche Eckdaten wie GDP führt am Markt zu einem Finanzierungsvakuum für NGOs, die sich wichtiger Themen widmen. 

“In fact, social innovation may be of greater importance and have much greater impact than any scientific or technical invention.” - Peter F. Drucker[1]

Europa auf der Suche nach einer neuen Systemidentität

Das Resultat ist ein Europa in der Krise. Die Auflösung der Extinction Rebellion, die Müdigkeit der FFF Bewegung, das politische Abdriften ins rechte Lager, die Probleme mit der Integration von Zuwanderern, sind klare Zeichen, dass bisherige Versuche der ökologischen und sozialen Krise zu begegnen, gescheitert sind.[2] Radikale Vordenker erwägen das Recht zu brechen, um einen Systemwandel zu ermöglichen.[3] Europa benötigt eine neue sinngebende Idee, die bisherige wirtschaftliche Paradigmen durchbricht und Begeisterung für ein neues Zusammenleben entfacht.

Unter dem staatskapitalistischen Druck eines ethnisch und kulturell mehr oder weniger homogenen Chinas wird die kapitalistische Demokratie des Westens herausgefordert und muß sich neu definieren, da economy of scale und autoritäre Entscheidungsmuster China im kapitalistischen Wettbewerb kurz- und mittelfristig gewinnen lassen – auch wenn langfristig der ökologische Kollaps für alle ein bitteres Ende darstellt. Wir stehen also vor einem erzwungenen Systemwandel, der sowohl Risiko als auch Chance birgt.

Kann Europa kein alternatives System entwerfen, das wirtschaftliche, soziale und ökologische Harmonie entfalten kann, so wird es mit großer Wahrscheinlichkeit von einer Kolonie der USA zu einer Kolonie Chinas. Die mittel- und langfristigen Folgen dieser Verschiebung der Leitkultur von West auf Ost sollten Inhalt einer getrennten Debatte sein. All jenen Europäern, die längere Zeit in China gelebt haben, ist jedoch klar, dass viel zu wenig Bewusstsein hierzulande herrscht, was eine Leitkultur China für Europa bedeutet.[4]

“Not to innovate is the single largest reason for the decline of existing organizations. Not to know how to manage is the single largest reason for the failure of new ventures.” - Peter F. Drucker

Realistische Utopien – vom Recht zur Pflicht[5]

Besinnen wir uns der historischen Ausgangslage, die für Europa realistische Szenarien einer Transformation ermöglicht. Fast alle europäischen Nationalstaaten haben im 19. Jahrhundert eine demokratische Verfassung erhalten, deren Fokus auf Machtverteilung liegt und die Bürgern Rechte zugesteht: Wahlrecht, Bürgerrechte, Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Frauenrechte, Kinderrechte, etc. Diese Evolution der Demokratie läßt sich bis in die europäische Antike zurückverfolgen.

Die Covid-19 Pandemie hat vor dem Hintergrund der Klimakrise eine umfassende Debatte um Bürgerpflichten getriggert, an welcher sich der deutsche Philosoph David Precht prominent beteiligt hat. Sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, wurde als moralische Pflicht des Bürgers gesehen, um in einer Ausnahmesituation die Gesundheit anderer zu bewahren. Analog zu dieser weitgehend bereits vergessenen Situation wurden andere Pflichten hinsichtlich der ökologischen und sozialen Krise diskutiert. Welchen carbon footprint darf ein Mensch haben, um nicht andere einer lebenswerten Existenz zu berauben? Welchen Beitrag muß ein Mensch zum Funktionieren von lokalen Gemeinschaften leisten? Wie hoch darf das Einkommen einer Person sein, ohne dass dadurch die Gesundheit und das Wohlbefinden vieler anderer schwer beeinträchtigt wird?[6]

Der gemeinsame Nenner dieser aktuellen Debatte ist die Schnittmenge von veränderten Rechten und Pflichten, die sich durch begrenzte natürliche Ressourcen und eine wachsende globale Bevölkerung ergeben. Das Zeitalter des Anthropozäns zeichnet sich durch einen Umstand aus, der weniger beleuchtet wird als die Konsequenz, dass der Mensch das Klima in bisher unbekanntem Ausmaß verändert: Wir leben nicht mehr in unterschiedlichen Ökosystemen, sondern sind unweigerlich Teil eines einzigen Ökosystems geworden, wodurch die gegenseitige Abhängigkeit und Verbindung sichtbar wird.

“Es ist Zeit, über Verantwortlichkeiten des Menschen zu reden.” - Helmut Schmidt[7]

Wohlergehen statt Wohlstand

Post-growth Ökonomen haben exzessiven Kapitalismus als wirtschaftliche Ausformung von moralisch haltloser Gier identifiziert und aufgezeigt, dass wir mit weniger Verbrauch natürlicher Ressourcen und weniger Arbeitszeit, gesündere und glücklichere Leben führen können. Der Schlüssel zur Etablierung eines alternativen Systems sollte demnach bei ökonomischen Anreizen liegen, die neue Lebensmodelle ermöglichen. Jason Hickel rechnet vor, dass 65% des US GDP – und damit unermesslicher Ressourcen- und Arbeitszeiteinsatz – wegfallen würden, wenn das Ziel einer Volkswirtschaft allgemeines Wohlergehen und nicht nationaler Wohlstand ist. Ein Einkommen von USD 14k wäre demnach in den USA ausreichend, um ein maximales Wohlergehen zu erlangen, während das derzeitige GDP p.c. bei USD 59k liegt.[8] Systemtransformation im Anthropozän ist demnach Klassenkampf unter neuen Prämissen.[9]

Gepaart mit den vorhersehbaren und bereits in Entfaltung befindlichen Konsequenzen von Automatisierung und maschinellem Lernen ist ein Überdenken des Konzeptes „Erwerbsarbeit“ unumgänglich. [10] Wir müssen uns auf Experimente in Modellarbeitsmärkten einlassen, die klassische Erwerbsarbeit entweder in Kombination mit sozialen und ökologischen Beitragsleistungen erfassen oder Arbeit als Teil von „extractive economies“ gänzlich verbieten. Ein umfassendes “distributed value accounting” von sozialem und ökologischen Impact einer jeden (beruflichen) Tätigkeit ist notwendig, wollen wir zerstörerisches Verhalten von regenerativem Wirken sinnvoll trennen.

“Very few events have as much impact on civilization as a change in the basic principles of organizing work.” - Peter F. Drucker 

Bedingtes vs unbedingtes Grundeinkommen

Einer der großen Vorteile Europas ist der weit verbreitete Föderalismus, der es ermöglicht in kleinen Kommunen und immer noch relativ kleinen Bundesländern diese neuen Formen von Wohlstandsverteilung auszutesten und die demokratischen Systeme des 19. Jahrhunderts in meritokratische Systeme des 21. Jahrhunderts zu transformieren. Die Vernetzung von Organisationen und Individuen, die dieses Experiment unterstützen wollen, ist jetzt dringlicher denn je: Europa braucht ein neues Modell, das durch Inklusion begeistert, aber gleichzeitig einen Beitrag fordert.

“Wenn Europa eine Person wäre, dann müsste ich doch jetzt losstürmen und für sie kämpfen. Für meine Heldin, die mir 70 Jahre Frieden verschafft hat.” - Klaus Maria Brandauer

Endnotes:
[1] The Essential Drucker, 2002
[2] https://www.mingong.org/blog-de/uber-die-natur-eines-volksfeindes
[3] https://ark.greensteps.me/library/chris-packham-is-it-time-to-break-the-law
[4] http://www.mycountryandmypeople.org/01-blog-2133823458/tiananmen-july-1st-youth-parade-a-reason-for-concern
http://www.mycountryandmypeople.org/01-blog-2133823458/thoughts-on-the-china-international-import-expo
Kai Strittmatter: Die Neuerfindung der Diktatur
[5] https://www.mingong.org/blog-en/a-lucid-manual-for-transformation-by-architect-friedrich-von-borries
[6] https://www.mingong.org/blog-en/on-failing-democracies-and-spheres-of-justice
[7] https://brennstoff.com/ausgaben/es-ist-zeit-%C3%BCber-verantwortlichkeiten-des-menschen-zu-reden/
https://www.helmut-schmidt.de/helmut-schmidt-im-ringen-um-die-idee-eines-weltethos
[8] Jason Hickel: Less Is More - How Degrowth will save the world
[9]  https://kontrast.at/andreas-kemper-interview-klasse/
https://www.darkmatteressay.org/blog/on-waging-war-and-democratic-decline
[10] https://www.mingong.org/blog-en/martin-ford-enlightened-marxist-or-apolyptic-technocrat
0 Comments

Was HAT ZEITGEMÄße BILDUNG MIT ZEITGEMÄSSER KLEIDUNG ZU TUN?

1/8/2025

0 Comments

 
Picture
7. Jänner, Wien. Es wird einem in Österreich nicht einfach gemacht, wenn man im Bildungssystem einen Beitrag leisten will. Ein noch vor dem Jahreswechsel vereinbarter Termin mit dem Direktor einer Wiener Mittelschule festigt meine Entscheidung zumindest bis Sommer dem Schulbetrieb fern zu bleiben. Einerseits würde ich mit meinem Beitrag das Weiterbestehen eines überholungsbedürftigen Systems unterstützen, andererseits ist am besuchten Standort abzusehen, dass ich meine Prinzipien komplett aufgeben muss.

Der Schulstandort ist mit 2200 SchülerInnen groß und umfasst einen gesamten Häuserblock. Die Mittelschule selbst hat zwar nur 250 SchülerInnen, aber die Lage direkt am Gürtel macht sie zu einer richtigen Stadtschule. Die Gebäude sind verdichtet, es gibt wenig Grünflächen. Von der Lehrerkantine aus zeigt mir der Direktor die einzige Schulaußenfläche, einen erbärmlichen Schulhof, von dem nur die Hälfte von allen SchülerInnen des Standortes benützt werden darf. Ich erblicke hauptsächlich Kinder im Grundschulalter.

Empfangen werde ich von einem gutgelaunten, etwa 50 jährigen Herren in einem undefinierbarem Trachtensakko und Jeans, der mir sagt, dass ich der Wunschkandidat für die ausgeschriebene Stelle bin. Wir nehmen vor seinem Büro und neben dem Lehrerzimmer in einem kleinen Raum Platz. Die Atmosphäre ist gut, aber ich fühle, dass ich mich für diese Stelle nicht mehr genug anpassen kann. Es beginnt bei der Kleidung und endet bei der Bildung.

Die Kinder verbringen ihr gesamte Schulzeit in diesem Ghettoblock. Vom Geografieunterricht wird mir ein Lapbook über London als wünschenswertes Ergebnis gezeigt. Die Kenntnis der Schulumgebung ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einmal als Lernziel definiert. Der Unterricht findet fast ausschliesslich digital statt - alle Lehrer und alle Schüler haben ipads.

How did Henry Miller once say? The true mystery lies in the visible.

Ich befürchte, dass ich nach ein paar Jahren an dieser Schule ebenfalls im Trachtenjanker durch die Gänge laufe, Kinder dabei beaufsichtige im Gebäude zu bleiben und sie über London lernen lasse, während die menschliche Evolution ihren gegenwärtigen Zenit in Shanghai erlebt.



0 Comments

ÜBER DAS ENDE DES SPRACHUNTERRICHTS UND DESSEN WIEDERGEBURT

4/15/2024

0 Comments

 
Picture
Der Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, schlägt in der letzten Ausgabe der Zeit in einem Interview vor, Rechtschreibung und den Erwerb einer zweiten Fremdsprache im Lehrplan zu streichen. Damit geht der Grüne Politiker, der vor seiner politischen Karriere Biologie- und Chemielehrer war, einen Weg, den viele Pädagogen für ungangbar halten. Wir müssen ihn dennoch einschlagen.

Die Lehrpläne an Schulen sind mit Inhalten überlastet und müssen für das Wesentliche vom Unwesentlichen befreit werden. Der Fokus auf Spracherwerb ist eine Altlast eines Bildungsideals aus dem 19. Jahrhundert, als sich der gebildete Bürger durch das fehlerfreie Rezitieren von Klassikern und die einwandfreie Komposition von Texten vom ungebildeten Menschen jener Zeit abhob.

EDV, Sprachprogramme, und Lösungen wie deepl oder chatgtp sollten als technische Hilfestellungen betrachtet werden, um den Bildungsfokus auf Inhalte zu lenken, die praktisch erlernt werden können, mentale und körperliche Gesundheit fördern, und für das Überleben unserer Art von Bedeutung sind. Sich besser als jemand anderer ausdrücken zu können, zählt hier nicht wirklich dazu. Es handelt sich bei der Sprachbeherrschung um eine Kompetenz, die zumeist nur für den Beherrschenden einen Mehrwert bringt, jedoch weniger für die Gemeinschaft.

Spracherwerb und Sprachbeherrschung galt für lange Zeit als ein wesentliches Kritierum, um sich für höhere Bildung zu qualifzieren. Auch jetzt noch ist die Beherrschung der Muttersprache eine Filter, der darüber entscheidet, ob ein Kind ein Gymnasium besuchen darf, oder auf die Real- bzw Mittelschule gehen muss. Wer in der letzten Klasse der Grundschule nicht mindestens ein Gut in Deutsch bekommt, schafft es nur mit Wohlwollen der Schulleitung und mit einem Aufnahmetest in ein Gymnasium.  

Diese Aussiebung der Gesellschaft ist nicht mehr zeitgemäß. Sie ignoriert die mittlerweile 40 Jahre alte Theorie Howard Gardners zu multiplen Intelligenzen. Sie ignoriert darüber hinaus, dass sich gerade die Gesellschaften vieler westlicher Länder, insbesondere Deutschlands, Österreichs und der Schweiz stark verändert haben und der Anteil von Kindern, die Deutsch nicht als Muttersprache haben, in vielen Schulen bis zu 50% ausmacht.

MIt einem Festhalten am akribischen Spracherwerb, der Beurteilung von Rechtschreibung und Beistrichsetzung, verbauen wir dem Potential vieler Kinder ihren Weg, höhere Bildung durch andere Arten der Intelligenz zu erlangen. Mindestens ebenso wichtig ist es zu erkennen, dass wir Lehrpläne vom singulären Fokus auf Spracherwerb auf projektorientiertes, fächerübergreifendes Lernen transformieren müssen, dessen indirektes aber nicht vordergründliches Ziel der Spracherwerb ist.

Ähnlich einem Spiel wir Minecraft, in dem Kinder eine Welt erforschen und erschaffen, und nebenbei einen beeindruckenden Wortschatz in der jeweils eingestellten Sprache zu Werkzeugen und Materialien erwerben, so muss post-industrieller Unterricht, Empathie für andere und ökologisches Systemverständnis fördern, indem Kinder und Jugendliche an realen Projekten in der Umwelt arbeiten, und dabei - quasi unbemerkt - Sprachen erlernen.

Man kann Aussagen über Ergebnisse einer Entscheidung in der Zukunft nicht wissenschaftlich untermauern. Dennoch ist es ein Faktum, dass die Entrümpelung des Unterrichts von 4-5 Stunden Deutsch und weiteren 4-5 Stunden Englisch, Zeit für projektorientierten und fächerübergreifenden Unterricht schaffen würde, der den Spracherwerb als Nebenprodukt fördert. Darüberhinaus ist projektorientierter Unterricht eine effiziente Maßnahme, um gerade Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine Möglichkeit zu geben, an einer neuen Heimatgesellschaft teilzuhaben und dadurch die steigende Jugendkriminalität wieder in den Griff zu bekommen.
Picture
0 Comments

LEHRER in die LEHRE

3/9/2024

0 Comments

 
Picture
Quereinstieg nun auch für die Elementarpädagogik. Auch dieser wird nur mit einem begleitenden Studium ermöglicht, das Lehrer zu Systemerhaltern konditioniert. Statt mehr Personen im selben Schema auszubilden und im Resultat das Bildungssystem nicht zu verändern, sollte über grundsätzlich andere Wege der Lehrerausbildung nachgedacht werden.

Der Lehrberuf eignet sich mMn wie kein anderer für eine duale Ausbildung. Bereits 15 jährige sollten an Kindergärten und Elementarschulen als Assistenzlehrer in Anstellung einsteigen und von erfahrenen Pädagogen lernen. Berufsbegleitend sollte nach einem Induktionsjahr, in dem man sich überlegt, ob der Beruf für einen das Richtige ist, eine weiterführende Ausbildung begonnen werden, um sich Schritt für Schritt weiterqualifizieren - allerdings immer mit einem festen Anker in der Praxis.

Ob der Tischler Holz, der Steinmetz Mamor, der Bauer den Boden oder der Lehrer den Menschen formt: er lernt es am besten von Vorbildern und in einem praxisnahen Umfeld. Jahrelange Theorie an Hochschulen entfremdet den berufenen Lehrer von seinem Werkstoff, und nimmt dem Bildungssystem eine wichtige Gruppe von Personal, die in Vereinen wie den Pfadfindern oder den Naturfreunden seit jeher hoch im Kurs steht: Jugendliche und junge Erwachsenen zwischen 16 und 21.
0 Comments

COVID - INSIDE OUT

12/17/2023

1 Comment

 
Picture
Meine erste COVID-19 Erkrankung läßt mich Analysen, die ich während der nun fast vier vergangenen Jahre niedergeschrieben habe, in einem neuen Licht betrachten, quasi aus der Sicht eines nicht indirekt, sondern direkt Betroffenen. Nichts hat sich an meinen Aussagen zu den systemischen Ursachen geändert, aber ich habe einige Bemerkungen zu den hierzulande getroffenen Maßnahmen hinzuzufügen.
 
Im Zeitraffer: Ich habe den COVID-19 Ausbruch in Japan miterlebt und den ersten großen, vier Monate dauernden Lockdown in China. Die autoritären Maßnahmen der chinesischen Regierung waren wesentlicher Grund, warum ich mit meiner Familie nach dem ersten Lockdown Ende August 2020 nach mehr oder weniger 20 Jahren im Reich der Mitte wieder nach Österreich gezogen bin. Propaganda, Vortäuschung falscher Tatsachen, Hetze gegen Ausländer, Polizeistaat, sind nur einige der Schlagworte, die mir jetzt zu dieser Zeit einfallen.
 
Derzeit fallen mir nur zwei Worte ein: Inkompetenz und Apathie. Inkompetenz hinsichtlich des Krisenmanagements und Apathie hinsichtlich der Betroffenen. Als Lehrer ist es für mich gänzlich unnachvollziehbar, warum Dienstaufsichtsbehörden, die sich wegen vielen unnötigen Angelegenheiten melden, die rasant steigenden Infektionszahlen nicht an die Schulen in einem Rundbrief kommuniziert haben und eine frühe Empfehlung ausgesprochen haben, sich gegen COVID erneut impfen zu lassen.
 
Laut meiner Hausärztin zeigt sich jeden Herbst derselbe Infektionsverlauf: Im September steigen die Infektionszahlen in Kindergärten, im Oktober in Volksschulen, und im November wird die Sekundarstufe 1 erfasst. Zu dieser Zeit haben in meinen Klassen die Kinder zu Husten, Rotzen und Schnäuzen begonnen, nicht wenige Schüler wurden krank. Anfang Dezember waren in einer einzigen Woche 7 von 19 Lehrern erkrankt. Das Resultat war ein Supergau, der die ohnehin bereits stressigen 50 Minuten Klassen für die verbleibenden Kollegen noch stressiger machte.
 
Selbst wenn die website des Gesundheitsministeriums zeigt, dass die Pandemie offiziell am 30.6.2023 beendet war, so ist sie nach wie vor in vollem Gange. Und mein Krankheitsverlauf zeigt, dass eine Erstinfektion einen durchaus bedrohlichen Verlauf nehmen kann. Warum beugt man derartigen Szenarien nicht durch umfassende Information vor? Sind der Bildungsdirektion NÖ ihre Mitarbeiter derart gleichgültig?
 
Mein COVID Tagebuch:
 
  • 20.11 Wahrscheinlich am Montag in der Schule eingefangen; viele Kinder haben Schnupfen und Husten nach dem Wochenende; am Dienstag 21.11 klares Gefühl, dass ich mir etwas eingefangen habe;
  • 22.11 bleibe zu Hause wegen Erschöpftheit - noch keine Erkältungssymptome
  • 23.11 wache mit angeschlagener Stimme auf, die sich um eine Oktave tiefer anhört
  • 25.11 versuche den samstags Wohnungsputz am Morgen, scheitere aber und bleibe den Rest des Tages liegen; schlafe bis 16 Uhr durch; wache nur für halbe Stunde zum WC Gang auf; starke Kopfschmerzen beginnen; kein Lesen möglich, da die kleinste Bewegung der Augen schmerzt; erinnert mich an meine Dengue-Fieber Erfahrung 2005 in Kambodscha
  • 26.11 schlafe bis nächsten Morgen um 4; unveränderte Kopfschmerzen; Deliriumartiger Zustand; keine Nahrungsaufnahme; nehme 3*2 Ibuprefen wegen Schmerzen - hilft; schlafe mehr oder weniger den ganzen Tag und die Nacht durch; Kinder machen mit mir einen alten COVID Test, der positiv ist. Melde mich in der Schule krank
  • 27.11 unveränderte Kopfschmerzen - nehme Ibuprefen weiter; schlafe bis gegen 14 Uhr; etwas Energie kommt zurück; ich gehe eine kleine Runde um den See; schlafe danach wieder bis am nächsten morgen durch; Körper scheint komplett erschöpft zu sein
  • 28.11 Kopfschmerzen und Fiebrigkeit sind weg; dafür wache ich mit komplett verschleimten Nasen- und Stirnhöhlen auf; grosse Mengen Schleim werden vor allem am Morgen aber auch unter Tags abgeschnäuzt; bleibe im Bett
  • 29.11 wie 28.11 zusätzlich dunkelgrüner, zäher Auswurf von Bronchien, der sich am Morgen und epispodenartig nach langem Husten zeitigt; Husten dauert eine halbe Stunde und ist erschöpfend und führt zu Kopfschmerzen; Termin bei Dr Kaufmann; COVID negativ; sie meint, dass der Infekt bereits abgeklungen sein kann und zuvor positiv war; jedenfalls viraler Infekt; Krankmeldung bis Fr; Antibiotika wenn bis Fr keine Besserung
  • 30.11 wie 29.11 Nasivin und Aeromuc haben keine erkenntliche Wirkung
  • 1.12 wie am Vortag starker Husten bis zu einer Stunde nach dem Aufstehen, danach schmerzende Lunge; Auswurf von Bronchien aber nicht mehr dunkelgrün sondern wie von Nasennebenhöhlen gelb. Energie kommt etwas früher zurück, kann bereits gegen Mittag auf, an den Vortagen immer erst um 15 Uhr. kaufe mir heute noch das dritte verschriebene Medikament für den Husten, ein Cortison Präparat namens Mometason.
  • 2.12 Heute ist die 5te Kollegin von insgesamt 20 Lehreren ausgefallen.
  • 3.12 wie am Vortag; dicke Schicht Wick Vaporup auf Brust und Rücken hat aber das Aufwachen etwas gelindert; Telefonat mit meiner Kusine; praktische Arztin in Herzogenburg: der Husten kann nach COVID Infektion bis zu 4 Wochen dauern; ich empfinde die Symptome sind sehr ähnlich zu meinen Asthma/Bronchitis Episoden aus der Kindheit; bei Husten will ich zu meinem Astmaspray greifen; meine Kusine bestätigt dies: COVID führt zu einer Entzündung der Lungen. Sympthomlinderung durch Inhalation von Cortiden zB Fluxotide
 
Weiterlesen:
 
  • https://www.mingong.org/blog-en/on-the-metaphysics-of-a-plague
  • https://www.mingong.org/blog-en/covid-19-and-the-end-of-modernity
  • https://www.mingong.org/blog-en/how-stephen-coveys-cia-method-helps-to-manage-the-impact-of-covid
  • https://orf.at/corona/daten/abwasser
  • https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Uebertragbare-Krankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/Neuartiges-Coronavirus.html
 
1 Comment

Winterruhe

11/28/2023

0 Comments

 
Picture

Winterruhe. Der Winter zieht ins Land. Kälte und oft auch Schnee legt sich wie eine Decke über die Landschaft. Die gesamte Natur verfällt in ein Art von Schlaf - mit Ausnahme des homo sapiens, der entgegen seines Names meint er müsse gerade im Winter aufdrehen: Weihnachtsmärkte, Weihnachtsfeiern, Weihnachtsvorbereitungen. Die Zeit hat ihren ursprünglichen Charakter gänzlich verloren und war daher jener Teil des westlichen Jahreszyklus, den ich in Asien am wenigsten vermisste. 

In der Schule verstärkt sich diese Wahrnehmung. Die an sich hohe Taktfrequenz der kurzen Unterrichtseinheiten, die in den Sommermonaten eine deutliche Verlangsamung erfahren müsste, um bei den Kindern Sinnvolles im Gedächtnis zu hinterlassen und bei Lehrern keinen burnout hervorzurufen, wirkt im Winter grotesk. Der Körper fühlt spätestens ab Mitte November, dass es einfach nicht mehr so gehen will, wie die Wochen zuvor. Zuerst wenige, dann immer mehr Kinder schupfen und husten in der Klasse, die Zahl der Krankmeldung steigt. Und dann trifft es schliesslich einen oder eine der Kolleginnen. Dieses Jahr war ich der Erste, der mit der winterlichen Bildungsmaschine nicht mehr mitlaufen konnte und einem mutierten Corona Virus erstmals (!) erlag.

Inzwischen sind drei weitere KollegInnen gefallen. Sie alle sind SoldatInnen, die einen aussichtslosen Krieg kämpfen. Wir alle sind Söldner, die vergessen haben, worum es ursprünglich ging: Erleuchtung sollten wir der nächsten Generation bringen. Ihnen etwas fürs Leben mitgeben, das ihnen dieses angenehmer und erfüllter gestalten würde. Doch wir versagen in diesem System, das dem Lehrer wenig bis gar keine Möglichkeit bietet, den Unterricht wirklich zu gestalten, und werden zu Erfüllungsgehilfen einer obsoleten Machtstruktur, der nichts an Erleuchtung liegt, der mittelalterliche Finsternis als zu Bewahrendes gilt.

Miracle Qestion: Wie wäre es, wenn wir unseren Kindern und Lehrern (vielleicht allen Arbeitnehmern?) statt die Uhren künstlich umzustellen zum Winterbeginn eines jeden Jahres 2 Stunden mehr Schlaf gönnen? Was würde passieren? Was wäre die Auswirkung auf das allgemeine Wohlbefinden?

Picture
Die Einhaltung einer Winterruhe ist eine ökologische Frage geworden. Spätestens seit dem ersten großen COVID Lockdown in China im Jahr 2020 sollten uns die NASA Aufnahmen gezeigt haben, dass sich nur durch eine erzwungene Winterruhe einer Gesellschaft der CO2 Gehalt in der Atmosphäre auf ein "überlebensfähiges" Niveau einpendelt. Laut dem französischen Ökologen Jean-Marc Jancovici hätte es 10 derartige Lockdown gebraucht, um eine Klimaerwärmung von nur 1.5ºC zu erreichen.

Die Lockdowns scheinen vergessen, aber wir sollten uns ihrer erinnern. Denn die Einhaltung einer Winterruhe ist eine ökologische Frage geworden, die in unserem eigenen Leben beginnt und von dort in die Welt hinaus ausstrahlt. Nicht wenig Lärm wird rund um uns gemacht, der uns nicht ruhen lässt. Aber es ist notwendig, dass wir zu uns selbst finden. Vor allem in der Schule, wo Einstellungen und Verhaltensweisen für ein ganzes Leben geformt werden.

Science to take home:
  • Neuroscientist Matthew Walker: Sleep is your superpower 
  • Why We Sleep by Matthew Walker - Animated Book Summary

Further reading:
  • On the Education Crisis and the Prisoners' Dilemma
  • On the Metaphysics of a Plague
0 Comments

WIE Staatskapitalismus die Ökologische Transformation verhindert - Ein plädoyer für die STÄRKUNG öffentlicher MIttelschulen

11/11/2023

0 Comments

 
Picture
Abstract:
 
Die Vermutung liegt bereits seit einiger Zeit nahe: in St. Pölten werden Steuergelder für staatskapitalistische Zwecke verwendet und dem Gemeinwohl – insbesondere dem schwer angeschlagenen öffentlichen Bildungssystem - entzogen. Ein Besuch in der Informatik Mittelschule Stockerau diese Woche hat die Vermutung gefestigt. Ein Lokalaugenschein, der zeigt wie in St. Pölten Pflichtschulen, und damit die nächste Generation der Stadt, um notwendige Infrastrukturmittel betrogen wird, während man in Stockerau beispielhaft investiert.

Picture
Der alte Teil des Stockerauer Schulcampus mit PTS und Kreativ-MS sowie rechts das angrenzende Jugendzentrum.
Beginnen wir mit einer Definition: Staatskapitalismus ist das Agieren der Regierung eines Landes (eines Staates), als ob sie Privatunternehmer in einem kapitalistischen System wäre, also Eigentümer der Produktionsmittel ist, die gewinnorientiert mit Lohnarbeitern betrieben werden. Staatskapitalismus kann jedoch auch in kleineren Organisationeinheiten wie Städten oder Kommunen auftreten, wenn diese sich klar vom Umland in ihrer Organisationsweise abgrenzen. Staatskapitalismus tritt oft gemeinsam mit systemkonformer Korruption auf, dh dass öffentliche Mittel zwischen Machthabern im System derart aufgeteilt werden, dass das System wirtschaftlich nicht geschwächt wird. Staatskapitalismus und systemkonforme Korruption zeigt jedoch langfristig eindeutig negative Auswirkungen in sozialer wie auch ökologischer Hinsicht und ist gerade in Anbetracht der Klimakrise äußerst problematisch, da der Staat der Bevölkerung die Mittel entzieht, die notwendig sind, um eine Transformation Richtung Nachhaltigkeit zu ermöglichen.

Picture
Mittwoch früher Nachmittag. Unser Besuch in der Informatik Mittelschule Stockerau gilt der niederösterreichischen MINT Schulen Konferenz. Zehn MINT Schulen aus unterschiedlichen niederösterreichischen Gemeinden sind von der Direktorin der St. Pöltner Dr. Körner Mittelschule nach Stockerau eingeladen worden, um sich untereinander auszutauschen. Frau Direktor Frühwald, die den MINT Schulen Cluster koordiniert, hat mich erfreulicherweise eingeladen, um ein Umweltbildungsprojekt vorzustellen.

Wir kommen in Stockerau eine Stunde früher an, um den Naturraum rund um die Schule kennenzulernen und exemplarisch ein paar Bäume zu kartieren, und werden von einem Bildungscampus überrascht, der seinesgleichen sucht. Die Informatik Mittelschule Stockerau befindet sich in einem Gebäudekomplex, der auch die Kreativ-Mittelschule Stockerau und die polytechnische Schule umfasst. Während PTS und Kreativ-Mittelschule im ansprechend renovierten Altbau untergebracht sind, befindet sich die Informatik Mittelschule in einem gut instand gehaltenen Neubau aus den 90er Jahren. Die drei Schulen sind – ähnlich wie in der St. Pöltner Dr. Körner Mittelschule - durch die Gänge auf jeder Ebene miteinander verbunden. Nur der jeweils getrennt Eingang verrät, dass es sich um unterschiedliche Schulen handelt.

Picture
Das beeindruckende Gebäude der VS Wondrak in Stockerau, welches durch eine Brücke mit der ebenso beeindruckenden VS West verbunden ist.
In einem weiteren ansprechenden Gebäude, welches über einen geschützten Innenhof erreichbar ist, befindet sich die Förderschule und direkt an diese angrenzend die Volksschule West. Deren Anblick überrascht uns dermaßen, dass wir zuerst in diese eintreten, in der Meinung es handle sich um eine der beiden Mittelschulen. Aber dem ist nicht so. Bei den zwei durch eine lange Luftbrücke verbundenen, modernen Gebäuden handelt es sich um die Volksschule West und die Volksschule Wondrak, welche 2022/23 um EU 18 mio (!) saniert wurden.
 
Wenn man das erste Mal diesen Schulcampus in Stockerau betritt, findet man sich nicht einfach zurecht. Unsere Aufgabe ist es aber, den Naturraum rund um die Schule kennenzulernen, daher durchstreifen wir das gesamte Gelände und stellen fest, dass sich am nördlichen Ende des Campus ein Kindergarten mit einem separaten Gartengelände und am südlichen Ende ein Jugendzentrum mit umfassenden Außenflächen befindet. Hier sollte jeder im Alter zwischen 2 und 15 quasi rund um die Uhr einen interessanten Aufenthaltsort finden – so scheint der Anspruch. Wir sind beeindruckt.
 
Die positive Wahrnehmung wird durch den Innenraum der Informatik Mittelschule weiter gestärkt. Auf der Suche nach dem Tagungssaal, laufen wir vom Erdgeschoß des Neubaus in den 2. Stock des Altbaus und sehen auf jedem Stockwerk Wohnzimmerlandschaften mit Wuzzeltischen, familiären Bibliotheken und mit Steckdosen versorgten Arbeitstischen. Ich bin perplex, weil ich die Realität an einigen St. Pöltner Mittelschulen kenne – inklusiver jener, an der ich selbst unterrichte.
Picture
Der karge Schulgarten einer städtischen Pflichtschule steht exemplarisch für die mangelhaften Investitionen des Schulerhalters in Naturraumpädagogik.
An meiner Schule, kann man in keinem einzigen Raum – außer vielleicht in der für die Nachmittagsbetreuung benutzten Bibliothek - ein Wohlbefinden entwickeln. Die Räumlichkeiten erscheinen seit den 80er Jahren unverändert. Weder gibt es im Innenraum einladende Sitzmöglichkeiten, noch ist der Außenraum so gestaltet, dass man dort verweilen möchte. Bei meinen Pausenaufsichten erinnere ich mich an meine Zeit als Gerichtspraktikant und komme mir vor als wäre ich eine Gefängniswärter, der den Gefangenen 15 Minuten in einem kahlen Gefängnishof Auslauf gewährt.

Die Ursache für die mangelhaft entwickelten Schulaußenflächen an St. Pöltner Pflichtschulen muss zumindest teilweise in der österreichischen Parteipolitik und dem lokalen Machtgefüge gesucht werden. Während die Familienland GmbH, die der schwarzen Landesrätin Teschl-Hofmeister untersteht, fleißig die Neugestaltung von Schulaußenflächen an Landesschulen unterstützt, sind keine dieser Vorzeigeprojekte in St. Pölten zu finden. Bei einer Exkursion der Familienland GmbH zu umgesetzten Schulgartenprojekten war ich der einzige „Vertreter“ St. Pöltens. Der Bus, der uns in einige Landgemeinden des nördlichen Niederösterreichs brachte, war jedoch gut bestetzt mit Gemeindevertretern und Schulleitern aus anderen Teilen des Landes. Tatsache ist, dass die Familienland GmbH nur einen Teil der Kosten für die Neugestaltung eines Schulgartens übernimmt. Die Projektumsetzung ist von der Ko-Finanzierung durch die Gemeinde abhängig. Und genau da scheint es bei St. Pöltner Projekten zu haken.
 
Man hört immer wieder, dass ländliche Mittelschulen besser ausgestattet sind als städtische und man hört auch unzählige Gründe, warum dies so ist. Eine Exkursion zu mehreren Volks- und Mittelschulen im ländlichen Niederösterreich hat erst kürzlich gezeigt, wie man Schulinfrastruktur gestalten kann. Der politische Wille ist ausschlaggebend. Dieser muss nicht immer Stein des Anstoßes sein, aber ein engagierter Schulleiter ist ohne die Unterstützung des Schulerhalters machtlos. Unser Besuch in Stockerau macht jedoch deutlich, dass auch in Kleinstädten, die durchaus mit St. Pölten vergleichbar sind, die notwendigen Mittel gefunden werden können, um Pflichtschulen ansprechend zu gestalten.  In St. Pölten hat man es hingegen noch nicht einmal für notwendig gehalten, der größten Mittelschule der Stadt ihren neuen Namen zu gewähren. Am markanten Gebäude, in dem sich vier Mittelschultypen befinden, liest man noch immer Dr. Theodor Körner Hauptschule. Diese scheinbare Kleinigkeit spiegelt ein größeres Problem wider.
Picture
Die größte Mittelschule der Stadt, Dr. Theodor Körner, in der vier MS Typen untergebracht sind, ist noch immer als Hauptschule ausgewiesen.
Ein anderes Problemfeld, welches die notorische Unterfinanzierung der Pflichtschulen St. Pöltens aufzeigt, ist die IT Infrastruktur. Meine Kollegen beklagen sich fast täglich über mangelnden Speicherplatz an den LehrerPCs und mehrwöchige Wartezeiten auf den IT Betreuer der Stadt. Wenn dieser einmal ins Haus kommt, dann füllt sich ein im Lehrerzimmer am Morgen angebrachter Zettel, auf die Kollegen IT Probleme festhalten dürfen, binnen weniger Minuten. Der mangelnde Speicherplatz auf den LehrerPCs lähmt den gesamten Betrieb an der Schule, weil eine Fehlermeldung die veralteten Pentium Rechner blockiert und den anstehenden Arbeitsschritt, wie etwa den Druck eines Dokumentes unmöglich macht. Die Beobachtung meiner Kollegen für wenige Wochen veranlasste mich dazu nur mit meinem eigenen Laptop zu arbeiten und auf das antike LAN zu verzichten.
Picture
Arbeiten an einer St. Pöltner Pflichtschule: Fehlermeldungen blockieren die aniken LehrerPCs
Ein Gespräch mit Herrn Reisinger, dem jungen IT Mitarbeiter eines externen Dienstleisters, läßt die Situation etwas klarer werden. Die Stadt hat vor etwa zwei Jahren vier Stellen in der Bildungsabteilung des Magistrates gestrichen, die für die IT Betreuung der Pflichtschulen verantwortlich waren. Stattdessen hat man diese Aufgabe an einen externen Dienstleister ausgelagert, wo eine einzige Person, unser Herr Reisinger, nunmehr die Aufgaben erfüllt, für die zuvor vier Angestellte verantwortlich waren. Es ist nicht verwunderlich, dass dieser zwischen den Schulen rotiert und die Wartezeit auf seine Dienste „nicht kundenfreundlich“ ist.
 
Als Verfechter von Schulautonomie habe ich mich als Neuzugang an unserer Schule mit dem mir bis dato unbekannten MS Teams auseinandergesetzt und entdeckt, dass jedem Lehrer im Microsoft Paket 1GB cloud Speicherplatz zur Verfügung steht. Warum also ein antikes LAN verwenden, das allen 20 Lehrern 250MB Speicherplatz zugesteht, wenn diese Möglichkeit gegeben ist? Der IT master-user an meiner Schule, der diese Aufgabe unbezahlt neben seiner Lehrtätigkeit erfüllt, erklärt schlicht, dass es keine Möglichkeit zur umfassenden Schulung gegeben hat und niemand die Funktionen von MS Teams wirklich kennt. Dieses – wie auch SchoolFox, ein weiteres Schulverwaltungsprogramm, das mE nicht zusätzlich zu MS Teams notwendig wäre – wurden vom Schulerhalter nur aufgrund der COVID Pandemie eingeführt, weil anders der remote-Schulbetrieb nicht zu bewerkstelligen gewesen wäre. Digitalisierung an St. Pöltner Pflichtschulen also nur, weil ein Virus dazu gezwungen hat? Das ist eine klare Verletzung der Digitalisierungsstrategie des Bundesministeriums für Bildung, aber offensichtlich können sich das autoritär agierende Bürgermeister in Österreich erlauben.
 
Meine Pläne MS Teams den Kollegen schmackhaft zu machen, werden von Herrn Reisinger zerschlagen. Der Schulerhalter sei daran, eine Strategie für die Schul-Hardware auszuarbeiten. Die bereits 15 Jahre alten Server (also in der Tat antik!) werden spätestens 2025 (!) ausgetauscht, um alle St. Pöltner Pflichtschulen weiterhin in einem Netzwerk zu verbinden. „Warum nicht der generelle Wechsel zu einem Cloud Service, so wie dies in allen modernen Organisationen gemacht wird und wie es eine moderne dezentrale Organisation erfordert?“ will ich wissen. Herr Reisinger lächelt mich verzweifelt an, da er bereits seit einigen Minuten in der nächsten Schule sein müsste „Zerbrechen sie sich nicht den Kopf, diese Entscheidungen werden irgendwo da oben getroffen, sie und ich können nur mit dem arbeiten, was von dort kommt.“ Ein klassischer Fall von überholten und ressourcenverschwendenden top-down Prozessen, die Motivation und Lösungen von unten ersticken. Positiv bleiben! Zumindest konnte Herr Reisinger auf seiner task list eine Aufgabe abhaken.
Picture
Die IT Problemliste einer städtischen Pflichtschule

Wenn man verstehen möchte, warum die Pflichtschulen in St. Pölten nicht mit ausreichenden Geldmitteln versorgt werden, stößt man schnell auf die dreigeteilte Zuständigkeit im Bildungsbereich, die sich Bund, Land und Gemeinden teilen. Während das Personalwesen für Landesschulen von den Bildungsdirektionen der Bundesländer verantwortet wird, sind die Gemeinden Schulerhalter und somit sowohl für die Gebäude wie auch das gesamte Anlagevermögen also beispielsweise LehrerPCs zuständig. Im Klartext: an Pflichtschulen werden die Lehrer vom Land und der Schulwart von der Gemeinde bezahlt.
 
Dadurch, und das konnte ich bereits im Jänner 2021 in einem Termin mit dem St. Pöltner Bürgermeisters hören, ergibt sich für manche Stadtväter ein gewisser Widerwille in Pflichtschulen zu investieren. Man habe keinen Einfluss auf den Bildungserfolg, weil man nur dem Schulwart etwas anschaffen könne. Das erklärt, warum in St. Pölten der Zustand der Schulgebäude teilweise an den ehemaligen Ostblock erinnert, während unglaubliche Beträge in Bildungsinstitutionen investiert werden, die die Stadt mehr oder weniger ohne schwerfällige Kooperation mit Land oder Bund kontrolliert und mit denen sie diverse Geschäftsmodelle vorantreibt.

Den Grund- und Allgemeinbildungsauftrag überläßt man dem Land, dem Bund und diversen privaten Bildungsträgern. Der Ruf, der den öffentlichen Pflichtschulen der Stadt vorauseilt, hat dazu geführt, dass im Schuljahr 2023/24 acht erste Klassen am Gymnasium in der Josefstrasse und sechs erste Klassen am BORG eröffnet wurden, während die Schülerzahlen an den öffentlichen Mittelschulen stagnieren oder abnehmen. Sie scheinen eine Altlast zu sein, die eine Stadtverwaltung mitschleppt, die sich lieber mit medial wirksamen Prestigeprojekten schmückt.

Ich möchte hier vorwegnehmen, dass ich keines der anschließend angeführten Projekte für sich genommen schlechtmachen möchte. Jedes erzeugt einen gewissen Mehrwert. Aber ich stelle die berechtigte Frage, wann man welche Steuermittel aufwendet, um anstehende Herausforderungen zu lösen. Gerade in der Bildung ist es so, dass man ein Fundament schaffen und erhalten muss, das den Schülern an den Orten zugutekommt, an denen sie sich häufig aufhalten. In St. Pölten ist es offensichtliche Strategie ein außerschulisches Bildungsangebot zu schaffen, das von Schülern nach der Schule besucht wird bzw für das Lehrer mit ihren Klassen den Weg an diese Institutionen auf sich nehmen müssen. Nun mag man zwar an Kinderkunstlabor und Musikschule den Anspruch haben, dieses Angebot allen sozialen Schichten zukommen zu lassen, Faktum ist jedoch, dass den Weg dorthin vorwiegend die Bildungsschicht finden wird. Das bedeutet im Resultat, dass die St. Pöltner SPÖ bewusst Bildungsmittel von den unteren sozialen Schichten abzieht, um ein wohlhabendes Publikum zu bedienen.
Picture
Die Bauprojekte in St. Pölten zeigen, dass man einen staatskapitalistischen Weg eingeschlagen hat. Man investiert verringert dezentral und fährt die Pflichtschulen auf Sparflamme. Einer Delegation einer Partnerstadt St. Pöltens würden Schulstandorte wie die Mittelschule Dr. Körner oder St. Georgen sicherlich nicht gezeigt, obwohl dort die Kinder den Großteil ihrer Zeit verbrinden. Meine Schulleitung klagt zumindest einmal wöchentlich, dass die Gemeinde sie zum Sparen ermahnt hat. Eingesparte Mittel werden für zentralistische flagship Projekte eingesetzt, für die keine oder weniger Kooperation mit der Bildungsdirektion des Landes oder dem Bund notwendig sind.
 
EUR 20 Mio wurden für die Errichtung des Kinderkunstlabors aufgebracht. Die jährlichen Betriebskosten liegen ebenfalls im hohen sechsstelligen Bereich Bereich. EUR 11 mio wurden für den Bildungscampus in der Grillparzer Strasse gefunden, wobei davon EUR 6 mio in die Musikschule investiert werden, die an sich räumlich großzügig ausgestattet ist und über mehrere Außenstellen in den Kulturheimen verfügt. Eine dezentrale Investition hätte die vielen verkommenen Kulturheime saniert und freundlicher gestaltet; stattdessen wurde der zentralistische Weg beschritten und eine neue Musikschule geplant.
Picture
eines der vielen verkommenen Kulturheime St. Pöltens, welche wie SPÖ Anlagevermögen verwaltet werden und für deren Nutzung gemeinnützige Vereine nach Auskunft ERU 140 / je drei Std. zahlen müssen.

Der pädagogische Mehrwert von kleinen Schulen in der Nachbarschaft

Während es wirtschaftlich sinnvoll erscheinen mag, die Allgemeinbildung dem Bund oder privaten Bildungsträgern zu überlassen, spricht pädagogisch und ökologisch einiges dagegen. Ein dezentrales System von kleinen Schulen, die Kinder und Jugendliche mit starkem Bezug zur Nachbarschaft ausbilden, ermöglicht eine abwechslungsreiche und erfahrungsbasierte Unterrichtsplanung. Schüler zentralistisch konzipierter Schulen müssen meist in weit entfernte Schulgebäude pendeln und haben keinen Bezug zu den die Schule umgebenden Ökosystemen. Kleine Mittelschulen in der fußläufigen Nachbarschaft des Wohnortes sind prädestiniert für einen sinnerfüllten Lehrplan, der sich mit den unmittelbaren Problemen und Lösungen im eigenen Lebensraum beschäftigt.
 
Unsere öffentlichen Mittelschulen sind zu Nachbarschaftsschulen prädestiniert. Nachbarschaftsschulen werden ua vom Pädagogen David Zobel umfassend beschrieben und gelten als jener Schultyp, an dem „place-based education“ also ortsbezogene Bildung umgesetzt werden kann. Die ortsbezogene Bildung versucht, Gemeinschaften zu helfen, indem sie Schüler und Schulpersonal bei der Lösung von Problemen der Gemeinschaft einsetzt. Die ortsbezogene Bildung unterscheidet sich von der konventionellen text- und klassenbasierten Bildung dadurch, dass sie die lokale Gemeinschaft der Schüler als eine der wichtigsten Ressourcen für das Lernen begreift. So fördert die ortsbezogene Bildung ein Lernen, das im Lokalen verwurzelt ist - in der einzigartigen Geschichte, Umwelt, Kultur, Wirtschaft, Literatur und Kunst eines bestimmten Ortes, d. h. im eigenen "Ort" oder unmittelbaren Schulhof, in der Nachbarschaft, Stadt oder Gemeinde der Schüler.
Picture
Dieser Pädagogik zufolge verlieren bereits Grundschüler oft das, was ortsbezogene Pädagogen ihren "Sinn für den Ort" nennen, wenn sie sich zu schnell oder ausschließlich auf nationale oder globale Themen konzentrieren. Damit soll nicht gesagt werden, dass internationale und nationale Themen für die ortsbezogene Bildung nebensächlich sind, sondern dass die Schüler zunächst ein Grundwissen über die Geschichte, Kultur und Ökologie ihrer Umgebung erwerben sollten, bevor sie sich weiterführenden Themen zuwenden.
 
Ortsbezogene Bildung ist oft interdisziplinär. Sie lässt sich mit mehreren beliebten pädagogischen Ansätzen verbinden, darunter thematisches, praktisches oder projektbasiertes Lernen. Ortsbezogene Lehrpläne beginnen mit Themen oder Fragen aus der lokalen Gemeinschaft, wobei der Aufenthalt und die Erkundung des die Schule umgebenden Lebensraumes von außerordentlicher Bedeutung ist. Während in einer konventionellen Schule 90% der Zeit und mehr im Schulgebäude verbracht wird, verbringen die Schüler einer ortsbezogenen Nachbarschaftsschule viel Zeit in der Schulumgebung.
Picture
Gerade aus der Sicht des Klimawandels ist das Vorgehen der Stadtregierung grob fahrlässig bzw vorsätzlich unverantwortlich. EUR 60 mio in die Kulturhauptstadt 2024 zu investieren und dabei Kunstprojekte wie jenes der Tangente St. Pölten mit mehreren Millionen Euro zu bedienen, anstatt unsere Kinder und Jugendlichen mit jenen Mitteln auszustatten, die sie die bevorstehende Krise meistern lassen, wird früher oder später in Frage gestellt werden und jene, die derartige Entscheidungen, über die Allokation von öffentlichen Mittel, getroffen haben, werden sich rechtfertigen müssen. Wenn nicht rechtlich, so zumindest moralisch.
 
Habe ich getan, was in meiner Macht stand, um die nächsten Generationen in der notwendigen ökologischen und sozialen Transformation bestmöglich zu unterstützen? Der Einsatz öffentlicher Gelder ist hierbei von zentraler Rolle, da sie darüber entscheiden, wieweit die bereits mobilisierte Bevölkerung sich in die eine oder andere Richtung bewegen kann. In St. Pölten baut die Mehrheitsregierung der SPÖ eine staatskapitalistische Festung, die die Bevölkerung zunehmend ausschließt. Die Unternehmungen der Stadt sind auf Profit gerichtet und selbst wenn etwas anderes kommuniziert wird, so werden die Bedürfnisse der Kinder und der Jugend ignoriert. Kann es so zu einer kulturellen und sozialen Transformation kommen?
 
Die 150 Seiten umfassende Leitkonzeption Öffentlicher Raum aus dem Jahr 2019, die diese Woche im St. Pöltner Rathaus bei einem Symposium des TU Wien future.lab wieder zu lesen war, zeigt, dass die Stadtväter ihren Fokus klar auf Stadtplanung und Kulturentwicklung gelegt haben. Im Magistrat sind Kultur und Bildung zwar in einer Abteilung zusammengefasst, aber die Leitkonzeption zeigt, dass Kultur durchaus ohne Bildung gedacht und gemacht werden kann. Weder Schulen, noch Kinder noch Jugend werden in diesem für die Stadtplanung strategischen Dokument einmal erwähnt. Der öffentliche Raum gehört offensichtlich einer Gruppe, die aus Stadtplanern, Kunsttreibenden und Immobilienentwicklern besteht und sich unter dem Deckmantel Kulturhauptstadt 2024 gefunden hat.
 
Es ist somit auch vier Jahre nach der Verfassung der Leitkonzeption nicht verwunderlich, dass die Mittel der Stadt in die aufwendige Sanierung des Promenadenringes, die Neugestaltung des Europaplatzes (EUR 7,8 mio und EUR 840k), die Betonierung des Domplatzes (EUR 7.8 mio für Ausgrabungen, EUR 3.5 Mio für Betonierung, davon fast EUR 300k für Sprühanlage) gehen, und die Stadtregierung ähnliche privatwirtschaftliche Projekte wie das Quartier Mitte oder die WEE Gründe unterstützt, für die Altbaumbestand gefällt und nicht notwendige Parkflächen erbaut werden.

Von den lokalen Machenschaften in St. Pölten kann man überregional und international lernen, denn die Machtverschränkung zwischen Politik, Finanz und Immobilienentwicklung und insbesondere Massensport konzentriert auch anderorts wichtige Mittel, die für die ökologische Transformation eingesetzt werden müssten. So ist ein großer Teil der oö Wirtschaft und Politik der Meinung, dass Linz eine EUR 100 mio teure Raiffeisenarena (zusätzlich zum EUR 44 mio teuren, neuen Stadion der FC blau weiss) benötigt, während der ohne Zweifel dringlichere Ausbau des Strassenbahn-Netzes in der schnellwachsenden zweitgrößten Agglomeration Österreichs nur schleppend vorangeht. Der Fall des Immobilientycoon Benko ist Sinnbild einer Gesellschaft, die ihre Werte überprüfen muss, bevor sie investiert oder Investitionen ermöglicht. Infrastruktur muss dem Gemeinwohl und nicht den Interessen weniger Superreicher dienen. Ebenso ist der Wahnsinn des boomenden F1 Zirkus, der von unterschiedlichsten Staaten und Städten unterstützt wird nicht nur zu hinterfragen, sondern als eine Subvention von Klimasündern zu qualifizieren, die eine Transformation Richtung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit unmöglich macht. Couragierte Politiker auf allen Ebenen der Verwaltung sind jetzt notwendiger denn je, um öffentliche Mittel in die richtigen Projekte zu investieren. 

Quellen:
 
  • Staatskapitalismus: https://www.researchgate.net/publication/370903900_The_State_and_Capitalism_in_China
  • Systemkonforme Korruption: https://www.goodreads.com/book/show/32660782-china-s-political-system
  • Informatik Mittelschule Stockerau: https://www.mint2000.at
  • Kreativ-Mittelschule Stockerau: https://kreativnms-stockerau.ac.at/
  • Sanierung Volksschulen Stockerau: https://www.meinbezirk.at/korneuburg/c-lokales/volksschul-sanierung-in-stockerau-um-18-millionen-euro_a5522284
  • Kinderkunstlabor St. Pölten: https://www.meinbezirk.at/tag/kikula
  • Wege zur schulzentrierten Naturverbindung: https://www.greensteps.me/library/-zur-schulzentrierten-naturverbindung.php
  • EUR 11 mio für neue Musikschule: https://musikschule-stp.at/blog/2021/neuer-standort-musikschulcampus/
  • EUR 60 mio für Kulturhauptstart 2024: https://kurier.at/chronik/niederoesterreich/sankt-poelten/landeskulturhauptstadt-2024-drueckt-auf-st-poeltner-budget/402232539
  • Leitkonzeption Öffentlicher Raum St. Pölten: https://www.raumposition.at/wp-content/uploads/2020/05/STPO%CC%88R_Schlussbericht_web.pdf
  • EUR 3.5 mio für Domplatz: https://www.heute.at/s/beton-wueste-hitze-debatte-um-domplatz-in-st-poelten-100281969
  • EUR 7,8 mio für Domplatz Ausgrabungen: https://www.st-poelten.at/news/13368-ausgegraben-10-jahre-archaeologie-am-domplatz
  • EUR 7, 8 mio für Europaplatz: https://www.st-poelten.at/news/presse/18158-mehr-aufenthaltsqualitaet-am-europaplatz
  • EUR 840k für Kunstwerk am Europaplatz: https://kurier.at/chronik/niederoesterreich/sankt-poelten/st-poelten-windfaenger-europaplatz/402627344
  • https://kurier.at/sport/fussball/baukosten-raiffeisen-arena-lask/402639011
  • https://www.skysportaustria.at/ein-einzigartiges-schmuckstueck-blau-weiss-linz-praesentiert-neues-stadion/
  • Das Signa Immobilienimperium ist angeschlagen: https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-11/rene-benko-signa-holding-beiratsvorsitz-oesterreich
  • Formel 1 – Auf Speed: https://www.zeit.de/2023/49/toto-wolff-formel-1-motorsport-mercedes
0 Comments

Wege zur schulzentrierten Naturverbindung

9/28/2023

0 Comments

 
27.September 2023. Eine Exkursion zu fünf Modellschulgärten in Niederösterreich zeigt auf, warum Grobmotorik-Parks nicht mit Naturerfahrung verwechselt werden dürfen; warum Primärerfahrungen wieder die Regel werden müssen; warum es keinen Weg vorbei an der Tagesschule gibt, und wir uns ideologische Auseinandersetzungen nicht mehr leisten können; und warum bessere Schulgärten nur der erste Schritt am Weg zur schulzentrierten Naturverbindung sind.
Exkursion mit der Familienland GmbH zu Modell Schulgärten in Niederösterreich. Ein gut gefüllter Bus verlässt am frühen Morgen das Landesregierungsviertel in St. Pölten, nachdem es sich die Landesrätin Teschl-Hofmeister nicht hat nehmen lassen die Delegation von Gemeindevertretern, Schulleitern und Lehrern in einer für die steilen Hierarchien des formellen Schulsystems passenden Weise zu verabschieden: „Ich wünsch euch einen schönen Tag, leider kann ich nicht mit, auf mich warten Budgetgespräche, ich würd mir auch lieber Spielplätze ansehen. Benehmt’s euch und danke fürs Kommen.“

Wir überqueren die Donau und tauchen in das Waldviertel ein, wo wir am Vormittag drei Gemeinden besuchen, deren Schulgärten mit Unterstützung der Familienland GmbH neu angelegt oder saniert wurden. Die Intention ist gut: raus aus den Klassen und mehr Möglichkeiten für die Kinder, sich zu bewegen. Die Familienland GmbH schafft allerdings einen etwas staatskapitalistisch anmutenden Rahmen: die ÖVP dominierte Landesregierung Niederösterreichs durchdringt mit ihren in gemeinnützigen Gesellschaften mit beschränkter Haftung verpackten Angeboten den gesamten Kultur- und Bildungssektor in einer Monopolartigkeit, die für sich genommen eine Antithese von Kreativität und freier Entfaltung ist.

Die Spaltung des Landes in politische Lager ist bei dieser Veranstaltung eindeutig: ich bin der einzige Vertreter aus der sozialdemokratisch dominierten Landeshauptstadt. Alle anderen Teilnehmer sind aus Landgemeinden: nach wie vor die Hochburg der christlich-sozialen Partei und somit erste Zielgruppe einer Landesorganisation. Eines wird hierzu Orts stehts wiederholt: wer das Geld hat, hat das Sagen. Die Schulgartenprojekte der Familienland GmbH werden vom Land zu 50% mit einem Projektvolumen von maximal EUR 40k gefördert. Angeblich über 300 derartiger Projekte wurden bereits umgesetzt und man ist stolz, verschiedene Beteiligungsprozesse entworfen zu haben, um vor allem die Kinder in die Planung der neuen Schulgärten zu involvieren.

Es sind ideologische Konflikte, die die einheitliche Einführung von Tagesschulen verhindern. Während sich im sozialdemokratischen Wien Ganztages-Bildungsangebote hoher Beliebtheit erfreuen, sind diese in Niederösterreich eine seltene Ausnahme. Selbst im sozialdemokratischen St. Pölten ist das Schulwesen von der Nachmittagsbetreuung strikt getrennt. In den christlich-sozial dominierten Landgemeinden will man den Stereotyp der bäuerlichen Großfamilie nicht weiter erodieren, indem man die Kinder den Großeltern oder der zur Verfügung stehenden Mutter am Nachmittag entzieht. Aber selbst christlich-konservative Parteigänger unter den Lehrern sehen diesen Familientypus aussterben. Der Ganztagesschule, die umfassenden Naturraum-Unterricht anbietet steht nur eigentlich nur die mangelnde Transformationsfähigkeit des Schulsystems im Wege. Vielleicht brauchen wir noch eine Pandemie, um diese unumgängliche Notwendigkeit für unsere Kinder (wie auch Lehrer) zu erkennen.

Picture
Unser erster Halt ist Lengenfeld, wo uns der Bürgermeister an der Tür des Bildungscampus empfängt. Ein architektonisch ausgezeichnetes Projekt, welches alte Bausubstanz mit neuer gelungen verknüpft. Der kleine Schulgarten wurde während der Covid-Pandemie saniert und eröffnet. Zwei Volksschul-Klassen singen uns ein Lied und die Direktorin schildert ihre Erfahrungen.

Wie bereits bekannt, wird die Rolle des Schulwarts betont. Wer sich mit place-based education auseinandersetzt, muss früher oder später zum Schluss kommen, dass der Direktor einer Schule auch der leitende Schulwart zu sein hat, dem ein Team von Landschaftsgestaltern zuarbeiten. Die kleine Grundschule hat nur 68 Schüler, die sich über einen Garten freuen dürfen, in dem einige alte Kastanien stehen. Die Sanierung hat eine slackline, eine Kletterwand und ein Krabbelnetz gebracht. Schaukel und Rutsch hat die Schulleiterin aufgrund ihrer Erfahrung aus dem Konzept gestrichen, denn „vor und hinter der Schaukel muss ständig beaufsichtigt werden und bei der Rutsche wollen die Mädchen runter, während die Buben immer nur von untern nach oben klettern.“

Unser zweiter Halt führt uns nach St. Leonhard, wo die Mittelschule vor kurzem geschlossen wurde. Die verbleibenden jahrgangsübergreifenden Grundschulklassen bevölkern den einladenden Spielplatz neben der Schule jedoch mit lautstarker Lebendigkeit. Die Kinder machen sich an der Wasserpumpe zu schaffen und bauen einen Damm in der anschliessenden Sandkiste. Zusätzlich zu Kletterwand, Balancierbalken und Kletternetzen, gibt es hier auch eine Rutsche und einen Pavillon. Nachdem dieser Schulgarten nicht vom Dorf räumlich abgetrennt ist, wurde er generationenübergreifend entworfen. Der mit Stroh bedeckte Pavillon, lädt mit weiteren Sitzmöglichkeiten und Tauschbücherschränken dazu ein, auch nach Schulende zu verweilen.

In St. Leonhard fällt auf, dass die Schule wirklich ein Teil des Dorfes ist. Vielleicht war deshalb die Beteiligung der Eltern bei der Bepflanzung so hoch. Vandalismus, so die Antwort der Gemeindesekretärin, sei noch nie ein Problem gewesen. Im Gegenteil, man hilft zusammen, um den Garten zu erhalten. Landjugend und Bauhof haben viel Eigenleistung beigesteuert, um den Ort kindergerecht zu machen. Das wird gedankt: die Kinder haben eine 30 minütige große Pause, die sie bei jeder Witerung im Garten verbringen.

Primär- vs. Sekundärerfahrungen

Nach dem Besuch von zwei Grundschulen, erwarte ich mir beim dritten Halt in Groß Siegharts neue Einsichten. Dort wird von der Gemeinde die stattliche Summe von EUR 6 mio investiert um ein Schulzentrum zu errichten, welches Mittelschule, Sonderschule und Grundschule beherbergen wird. Der Um- und Zubau der aus den 70er Jahren stammenden Bausubstanz ist bereits fast abgeschlossen, der neue Schulgarten wird bereits seit einem Jahr von der Mittelschule benützt.

Während der Gemeindevertreter eine überlange Ansprache hält und den Schulleiter nicht zu Wort kommen läßt, befrage ich diesen nach den Benützungsverhalten der Mittelschüler. Dies würden zumeist nur in Schaukel und Hütte herumlungern, erwidert mir dieser. Die Altersgruppe sei schwer zu bewegen, aber das werde sich ändern, sobald die Grundschüler das Gebäude beziehen.

Der Schulhalter ist überrascht, daß auch in Groß Siegharts die anziehendsten Elemente das Wasser und der Sand sind. Ich erinnere mich an Richard Loevs Buch „Last Child in the Woods“, in dem er beschreibt, daß unsere Kinder immer weniger Primärerfahrungen haben. Alles wird vermittelt, auf Tafeln und whiteboards, über gedruckte und digitale Bücher, Filme, Animationen und natürlich dem Internet. Sekundärerfahrungen sind die Regel im Bildungssystem der Moderne. Primärerfahrungen sind die Ausnahme geworden.

Ein Schulgarten hat das Potenzial Primärerfahrungen wieder in den Vordergrund zu heben, doch fehlt Ingenieuren, Landschaftsgestaltern und Schulpersonal zumeist der Einblick, der für jeden Naturpädagogen nur des Hausverstands bedarf: vorgegebene, sich immer wiederholende Infrastrukturelemente, die vor allem die Grobmotorik fördern, sind nicht genug, um Kindern freies Spiel und anregende Momente innerhalb des Systems Schule zu bieten. Die industrielle Bildung der Klassenzimmer wird im Schulhof und -garten oft fortgesetzt. 

Kinder benötigen Primärerfahrungen, die nicht geplant sind. Die Wasserpumpe und der Sandkasten ermöglichen dies, da Wasser und Sand sich ständig verändernde Elemente sind, die von den Kindern geformt werden können und sich nachgiebig formen lassen. Es sollte das Ziel von Schulgärten sein, derartige Interaktionen zu vermehren, anstatt dieselben Elemente als industriellen Standard immer wieder zu verwenden.
Picture

Gebaute vs. Gewachsene Infrastruktur

Wahre Freiraumgestaltung beginnt bei den Pflanzen, die wir im Schulgarten anbauen, aufziehen und über die Jahreszeiten hinweg pflegen oder dem Biotop, in dem sich bei Schulbeginn und Schulende unterschiedliche Insekten tummeln. Der Prozess des Gärtnerns schafft eine zweite Form von Infrastruktur, die sich ständig verändert. Während die Initialkosten im Vergleich zu Grobmotorik-Parks niedrig sind, muss ein organischer Garten tagtäglich gepflegt werden und die Früchte dieser Arbeits sind im wahrsten Sinne des Wortes oft erst Jahre später zu ernten.

Im Gespräch mit fünf Schulleitern, zu deren Mittagstisch ich mich geselle, kommt sofort der Einwand der Sommerbetreuung auf. Niemand würde sich über die Sommermonate finden und der Schulwart würde ohne Mehrbezahlung immer weitere Agenden übernehmen müssen. Der Schulwart scheint mit dem steigenden Interesse an Zeit im Freien, eine immer gefragtere Person zu sein, und ich scherze, dass ich mich gerne Teilzeit umschulen lasse.

Wie langweilig ein Schulgarten wirkt, der ohne durchdachte gewachsene Infrastruktur geplant wurde, zeigt das Projekt Groß Siegharts, das vom Vertreter der Gemeinde zwar hoch gelobt wird, aber zutiefst enttäuschend ist. Ein einziger Baum bietet zu wenig Schatten, den man mit Sonnendächern beheben will. Die wenigen Sträucher sind friedhofsartig zurückgestutzt. Wie sich fast 200 Schüler an diesem Standort in der Natur entfalten und wohlfühlen sollen, ist mir ein Rätsel. Der Schulleiter zeigt auf einen turnierfähigen Fussballplatz, auf dem sich wie an jeder Schule nur eine gewisse Gruppe von Schülern finden wird.
Picture
Offene vs. Geschlossene Schulgärten

Ein Problem des Standortes Groß Siegharts mag die Trennung des Schulgartens vom Rest der Markgemeinde sein, die eine fortlaufende Beteiligung der Bevölkerung ermöglichen würde. Unser vierter Halt in Groß Gerungs zeigt wie ein offener Schulgarten einen Mehrwert für die Anrainer darstellt und das Mitwirken anderer gesellschaftlicher Gruppen anspornt.

Ebenfalls während der Covid-Pandemie über Videokonferenzen und emails geplant, hat die Förderung der Familienland GmbH eine kleine Bewegung ins Leben gerufen. Der Grobmotorik Park wurde von den Schülern der polytechnischen Schule mit einem selbstgebauten Freiraumklassenzimmer ergänzt. Die Landjugend hat drei Hochbeete, einige Freiluftliegen und eine Traubenhecke beigesteuert. Man spürt, dass in Groß Gerungs etwas in Bewegung geraten ist.

Die Leiterin der Mittelschule und jene der Grundschule erklären, dass Covid in Groß Gerungs einen äußerst positiven Effekt hatte, weil man in den Pausen nach und nach gezwungen war, mit den Kindern ins Freie zu gehen. Die Neugestaltung des Schulgartens hat daher einen positiven Rückenwind durch Covid erfahren und allen Beteiligten war klar, dass Kinder mehr Zeit an der Natur verbringen müssen. Wiederum wird die notwendige Unterstützung des Schulwarts sowie der fortlaufende Abgleich zwischen Schule und Bauhof für die Wartung der Infrastruktur hervorgehoben.
Picture
Sind 20 Minuten Freiluft genug?

Dennoch bin ich entsetzt wie wenig Bewusstsein für das elementarste Problem unseres Bildungssystems – den Raum - herrscht. Beide Schulleiterinnen sind berechtigterweise stolz auf die rasche und unerwartet umfangreiche Umsetzung des EUR 70k Projektes, drücken aber ihre Zufriedenheit aus, dass die Kinder nunmehr 20 Minuten täglich – bei fast jeder Witterung – im Freien verbringen.

Wenn ein Mensch, dessen entwicklungspsyschologische Natur es ist, herumzulaufen, den ganzen Tag über gezwungen wird, in geschlossenen Räumen zu sitzen, dann ist es logisch, dass man sich bereits über 20 Minuten Auslauf freut. Aber die Frage die wir hier stellen müssen ist eine andere: sind 20 Minuten Freiluft genug, um gesunde, kreative und umweltbewusste Kinder zu erziehen?

Während die Aufwertung von Schulgärten und -höfen, derer sich die Familienland GmbH dankenswerterweise angenommen hat, gerade im Grundschulbereich eine unumgängliche Maßnahme darstellt, um unsere Kinder aus dem industriellen Bildungsgefängnis zu befreien und besser auf die Klimakrise vorzubereiten, ist eine Reformation der Lehrpläne und eine Integration des Raumes, der die Schule umgibt und den Überlebensraum der Kinder bildet, dringend notwendig.

Wie schreibt Maria Montessori, “the child is in need of an environment in order to develop himself. Having accepted that, the next point is, what are we to do? What sort of environment must be prepared for the child so that it may be of assistance to him?” Bereits in der 3. Und 4. Schulstufe der Grundschule sind die Kinder bereit, den Schulgarten zu verlassen, und die Umgebung zu erkunden. Es sind die Jahre der späten Primärstufe und der frühen Sekundarstufe, in denen wir in unseren Köpfen die Landschaften formen, die uns ein ganzes Leben lang begleiten werden; an denen sich unserer Eindrücke als Erwachsener orientieren und erinnern werden.

Wir haben zumindest bereits eine Generation von Menschen erzeugt, die wenig Naturraumerfahrung besitzt und den Großteil ihrer Kindheit entweder zuhause oder in der Schule zugebracht haben. Gerade bei Schülern der unteren Sekundarstufe, die eigentlich fähig wäre Allmenden und Regionen zu erforschen und positiv zu gestalten, wirkt sich das Festhalten an Lehrplänen in Kombination mit digitalem Konsum verheerend aus. 
Picture
Mobile Campus 4.0 als Lösung

Der Mobile Campus 4.0 bietet eine Lösung für das Dilemma, in dem sich Schulen, Schüler und Lehrer befinden: die Beschränkung des Raumes durch Lehrplan und Haftungsfragen. Das Erfahren lokaler Ökosysteme - ausgehend vom Schulgebäude - muss ein zentrales Bildungsziel sein, wollen wir die nächste Generation auf die Klimakrise und deren Bewältigung bestens vorbereiten.

Mit der Unterstützung eines maßgeschneiderten web-apps wird die Erkundung, Erfassung und Gestaltung des erweiterten Lebensraumes zu einem Abenteuer. Vorbereitete, aber dynamisch änderbare Wanderrouten entlang der wesentlichen Naturmerkmale ermöglichen das fundierte Kennenlernen des Lebensraumes. Primärerfahrungen werden wieder die Regel, während Sekundärerfahrungen unterstützend in den Hintergrund treten.

Ökologische Intelligenz wird spielerisch gefördert, indem teilnehmende Schüler Bäume und andere Naturelemente messen, beschreiben, kartieren, über diese recherchieren, schreiben oder sich damit künstlerisch auseinandersetzen. Routenentwicklung und -ausschilderung bedarf der Zusammenarbeit im Team und schult in Selbst- und Fremdwahrnehmung.
Picture
Schulfreiräume als Sicherheitszonen

Daß sich die Realität von Stadt- und Landkindern in Österreich nicht mehr drastisch unterscheidet, und der Mobile Campus 4.0 auch in ländlichen Gemeinden Anwendung finden wird, bestätigt unser fünfter und letzter Halt an diesem einblicksreichen Tag. Im 600 Einwohner zählenden Aggsbach empfängt uns der Vizebürgermeister auf einem etwa 1000m2 großen Grundstück, das etwa 200m von der Grundschule entfernt liegt.

Obwohl die Grundschule nur 8 Schüler zählt, wurde in Aggsbach ein EUR 45k teurer Freiraum im Jahr 2019 als erstes Projekt der Familienland GmbH gebaut. Man fragt sich, warum eine derart kleine, naturverbundene Gemeinde wie Aggsbach, das an der Donau in der schönen Wachau liegt, einen Schulfreiraum benötigt. Die Antwort geben zwei Kinder, die ich antreffe und frage, was ihnen hier am meisten Spass macht. Die Antwort ist wieder die Wasserpumpe. „Das können wir trinken, damit spritzen und spielen.“ Aber warum geht ihr nicht einfach zur Donau? will ich weiter wissen, „Weil uns unsere Eltern nicht lassen.“

Schulfreiräume wie jener in Aggsbach zeigen, dass wir unseren Kindern kein freies Spiel mehr erlauben und damit immer weniger authentische Naturerfahrung ermöglichen. Wenn wir die Entwicklung der nächsten Generation ernstnehmen, dann müssen wir den Raum, den Kinder sich erarbeiten dürfen, umfassend – über das Schulgebäude und den Schulgarten hinaus - betrachten. Wir müssen ihnen die Zeit geben, diesen Raum zu erfahren und die Freiheit, Erfahrungen selbst zu steuern. Dabei geht hin- und wieder etwas schief, keine Frage. Aber Kratzer, Beulen, Schürfwunden und ein gebrochener Arm wiegen weniger als eine von der Natur entfremdete Menschheit.
Picture
Weiterlesen:

  • https://en.wikipedia.org/wiki/Place-based_education
  • Handbuch der LReg Oberösterreich, Wege zur Natur im Schulgarten
  • Richard Louv, Last Child in the Woods
  • Lia Karsten, It All Used to Be Better? Different Generations on Continuity and Change in Urban Children’s Daily Use of Space
  • Richard Louv, Engaging children in Nature
0 Comments
<<Previous

    Archives

    October 2025
    August 2025
    May 2025
    January 2025
    April 2024
    March 2024
    December 2023
    November 2023
    September 2023
    August 2023
    July 2023
    June 2023
    March 2023
    February 2023
    November 2016
    September 2016
    August 2016
    June 2016
    May 2016

    Categories

    All
    Jonas Merian
    Klaus Beck

    RSS Feed

Powered by Create your own unique website with customizable templates.